■ Das Portrait: Radovan Karadžić
Unter Druck Foto: Reuter
Er ist nicht nur Psychiater, sondern auch Poet. Und er versucht, beides miteinander zu verbinden. Seitdem Radovan Karadžić, wortgewandter Führer der bosnischen Serben, von seinem politischen Ziehvater Slobodan Milošević unter Druck gesetzt wird, bemüht er sich, sein Volk mit Tönen zu mobilisieren, die sowohl sentimental als auch kämpferisch klingen. „Wir sind“, so der fünfzigjährige Bauernsohn aus Montenegro in einer Fernsehansprache am Samstag, „bereit, Hunger zu leiden, nackt und barfuß zu sein, doch wir werden weiter für die Freiheit kämpfen.“ Die bosnisch-serbische Republik, aufgegeben von der serbischen Mutter, müsse nun auf eigenen Füßen stehen. In dieser Woche will Karadžić über die Ausrufung des „totalen Krieges“ entscheiden.
Karadžićs „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede sollte die bosnischen Serben auf eine Maßnahme vorbereiten, die deutlich macht, wie sehr das „verlassene Kind“ tatsächlich von Serbien abhängig ist. Bereits zwei Tage nach Schließung der Grenze werden jenseits der Drina die Lebensmittel knapp. Um die Versorgung sicherzustellen, mußte der Serbenführer eine allgemeine Arbeitspflicht anordnen.
Wie die bosnischen Serben auf Karadžićs Appell reagieren werden, bleibt abzuwarten. Beobachter vor Ort sind der Ansicht, daß der Hobbypoet mit seiner Lyrik den richtigen Ton getroffen hat. Seit Jahrhunderten würden die hiesigen Serben an einer der größten Invasionsrouten leben. Ungarn, Türken, Habsburger und Nazis hätten sie bedroht, nun müßten sie eben einen weiteren „Abwehrkampf“ führen.
Der „Kampf“ um die serbisch-bosnische Bevölkerung wird jedoch nicht nur von Karadžić, sondern auch von seinen Gegnern geführt. So forderte am Sonntag Bosniens Präsident Alija Izetbegović die Serben zum Ungehorsam gegenüber ihren Führern auf; in seinen diversen Äußerungen zur Ablehnung des Genfer Teilungsplans durch Pale hatte sich Serbiens Präsident Milošević stets nur gegen die serbisch-bosnische Führung, nicht aber gegen die Bevölkerung der selbsternannten „Republik“ gewandt.
Daß Karadžić seiner Sache nicht ganz sicher ist, machte die Reaktion auf den Nato-Luftangriff auf eine serbische Stellung bei Sarajevo deutlich. Parlamentspräsident Krajisnik mußte sich bei den UNO-Soldaten für den vorausgegangenen Waffendiebstahl entschuldigen, die Waffen wurden umgehend zurückgegeben. Sabine Herre
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