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■ Auch Ruandas neue Regierung muß sich verantwortenNicht die Augen verschließen!

Die neue Regierung in Kigali hat einen Startvorteil im Bereich des internationalen Ansehens, der um einen bitteren Preis erworben wurde: Nach dem alten Regime in Ruanda, das öffentlich zum Massenmord an der ethnischen Tutsi- Minderheit aufgerufen und die Massaker an fünfhunderttausend Männern, Frauen und Kindern zu verantworten hat, ist jeder, aber wirklich jeder Machtwechsel zu begrüßen. Die Verbrechen der gestürzten Obrigkeit waren in ihrem Ausmaß und ihrer Konsequenz so unfaßbar, daß deren Repräsentanten alle Ansprüche darauf verwirkt haben, bei der Neugestaltung des Landes mitreden zu dürfen.

Die ohnehin schwierige Aufgabe der Versöhnung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen wird dadurch nicht leichter: Nicht alle, die der siegreichen Rebellenbewegung RPF (Patriotische Front Ruandas) mißtrauisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen, weisen sich dadurch bereits als Anhänger der staatlich angeordneten Gewalt aus. Paul Kagame, bislang Oberkommandierender der RPF und seit Juli neuer ruandischer Vizepräsident, meint, daß es in den Reihen der RPF- Gegner neben den Verantwortlichen für das Blutbad „natürlich auch solche gibt, die vom alten Regime in die Irre geführt und manipuliert wurden“. Eine verräterische Formulierung: Wer gegen die RPF ist, ist also entweder ein Verbrecher oder blöd.

Schuldlose Guerilla?

Dabei haben mindestens Teile der früheren Guerilla ebenfalls Menschenrechtsverletzungen zu verantworten. Heimkehrende Flüchtlinge sind Informationen aus Kreisen der neuen ruandischen Regierung zufolge von RPF-Truppen erschossen worden. Politiker in Kigali geben zu den Vorwürfen Dementis ab, die keine sind: Paul Kagame meint, wenn es zur Bedrohung von Flüchtlingen gekommen sei, dann handele es sich „um einen isolierten Fall“. Premierminister Faustin Twagiramungu erklärt, RPF-Soldaten, die bei Übergriffen gegen Flüchtlinge ertappt würden, würden bestraft.

Flüchtlinge der Bevölkerungsmehrheit der Hutu hatten im Ausland seit Monaten behauptet, die RPF begehe Massaker – ohne daß ihnen Glauben geschenkt worden wäre. Für das Mißtrauen gegenüber diesen Berichten gab es einen einleuchten Grund: das alte Regime verbreitete über Radiosender derart unsägliche Greuelpropaganda, daß zunächst viele Informationen aus den Reihen der Bevölkerung für Teil dieser Hetzkampagne gehalten wurden. Meldungen über Untaten der RPF wären Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, die für den Völkermord verantwortlich waren – sie wurden deshalb mit ganz ungewöhnlicher Vorsicht behandelt. Beobachter wollten auf alle Fälle den Eindruck vermeiden, daß die Bürgerkriegsparteien gleichgesetzt würden.

Davon kann auch in der Tat keine Rede sein. Weder sind in ihrem Umfang die Menschenrechtsverletzungen der RPF denen des alten Regimes vergleichbar, noch steht bisher fest, ob die Spitze der einstigen Rebellenbewegung von den Untaten im Vorfeld Kenntnis hatte oder sie gar billigte. Manches spricht dagegen – daraus ergibt sich dann aber zwangsläufig die Frage, wieweit die RPF-Soldaten von ihren Kommandeuren überhaupt kontrolliert werden.

Chancen der Demokratie

Die Entwicklung der RPF und die Rolle, die sie in Ruandas Zukunft spielen wird, ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Chancen, die einem künftigen friedlichen Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen eingeräumt werden können. Der Übergang von einer militärischen Organisation mit strenger, zentralistischer Hierarchie zu einer demokratischen Bewegung ist sehr schwer und auch schon andernorts gescheitert.

Die Voraussetzungen für eine demokratische Entwicklung in Ruanda sind allerdings nicht ganz ungünstig: Im Kabinett sitzen neben Mitgliedern der einstigen Guerilla auch zivile Politiker, die zu Zeiten des alten Regimes um eine Liberalisierung der Gesellschaft gekämpft hatten. Ob sie mehr sein werden als ein demokratisches Feigenblatt, das muß sich jedoch erst noch zeigen.

Das Tauziehen um die Macht hat bereits begonnen. Ruandas neuer Präsident Pasteur Bizimungu, RPF-Mitglied, hält Wahlen erst „nach einer Übergangszeit“ von etwa fünf Jahren für möglich. Premierminister Faustin Twagiramungu, seit langen Jahren Oppositionspolitiker, hält dem entgegen, fünf Jahre seien „keine Übergangszeit, sondern ein Mandat“, und dringt auf einen schnelleren Ruf an die Urnen. Wichtiger noch als die Frage, wer sich am Ende durchsetzen wird, dürfte die Form sein, in der die Auseinandersetzung geführt wird – und ob Institutionen wie das neu zu bildende Parlament darauf maßgeblichen Einfluß haben werden.

Paul Kagame hat gegenüber der taz erklärt, die neue Regierung habe prominente Mitglieder der früheren Einheitspartei des getöteten Präsidenten Habyarimana, die an Massakern nicht beteiligt waren, gefragt, ob sie für Ministerposten zur Verfügung stünden. Im Oberkommando der RPF ist also erkannt worden, daß der Friede in Ruanda nur zu sichern ist, wenn möglichst alle Gruppen der Bevölkerung an der Zukunftsgestaltung beteiligt werden. Aber es muß auch abgewartet werden, wie groß die Bereitschaft in den Reihen der RPF sein wird, die Macht tatsächlich zu teilen.

Noch halten sich hoffnungsvolle und besorgniserregende Zeichen die Waage: RPF-Soldaten besetzen leerstehende Häuser von Flüchtlingen. Die Regierung erklärt ausdrücklich, die Beschlagnahmung von Gebäuden sei nicht Linie des Kabinetts. Geräumt werden sie dennoch nicht. Übliche Begleiterscheinungen einer fast immer chaotisch verlaufenden Nachkriegszeit oder Grundsteinlegung für neue Konflikte?

Ruanda braucht strukturelle Aufbauhilfe des Auslands, wenn sich die Lage stabilisieren soll. Die neue Regierung braucht eine Chance. Sie ihr zu geben bedeutet aber nicht, die Augen ein weiteres Mal vor der Realität des Landes zu verschließen. Wenn Shahargar Khan, UN-Vertreter in Kigali, die Vorwürfe von Morden an heimkehrenden Flüchtlingen mit der Äußerung zu beschwichtigen sucht, Menschenrechtsbeobachter hätten in den Taten „kein System erkannt“, dann müssen sich die Angehörigen der Opfer verhöhnt fühlen. Auch ein nicht systematisch verübter Mord hinterläßt einen Toten.

Die Vereinten Nationen haben bereits unmittelbar nach Beginn der Massaker an Hunderttausenden von Mitgliedern der Tutsi- Minderheit und Hutu-Oppositionellen im April durch Tatenlosigkeit ihre Ohnmacht demonstriert. Werden jetzt Berichte über neue Verbrechen, begangen von der anderen Seite, heruntergespielt, dann fällt man damit vor allem jenen in den Rücken, die derzeit ihre Kraft dem Neuaufbau Ruandas widmen. Wie anders denn als Hilferuf soll es verstanden werden, wenn Informationen über Menschenrechtsverletzungen ausgerechnet aus den Reihen der neuen politischen Führung selbst stammen? Siegreiche Armeen sind nirgendwo auf der Welt für ihre Disziplin berühmt. Das Kind nicht beim Namen zu nennen wird der Stabilität nicht förderlich sein. Die Bevölkerung weiß ohnehin, was sich in ihrem Land abspielt. Bettina Gaus

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