: Mit Schlagstöcken gegen den Hungerstreik
■ In Albanien kämpfen ehemalige politische Gefangene für finanzielle Entschädigung / Staatspräsident will Hungerstreik für illegal erklären lassen
Wien (taz) – Albaniens Opposition fordert Parlamentsneuwahlen und den Rücktritt von Präsident Sali Berisha. Linke und rechte Gegner Berishas werfen der Regierung, der Justiz und dem Staatsoberhaupt Korruption und Vetternwirtschaft vor, wodurch das Land an den Rand des Abgrunds getrieben werde. Zentrum des Protestes sind wie vor vier Jahren, als durch Massendemonstrationen das alte stalinistische Regime zu Fall gebracht wurde, die Intellektuellenhochburgen Shkodra und Kavaja. Seit Freitag befinden sich dort an die hundert ehemalige politische Gefangene in einem Hungerstreik, um ihrer Forderung nach Entschädigungszahlungen, Rückgabe enteigneter Wohnungen und Zusicherung eines Arbeitsplatzes Nachdruck zu verleihen.
Glaubt man dem Vorsitzenden des Verbandes ehemaliger politischer Häftlinge, Kurt Kola, so sollen sich bis zum Sonntag in etwa 40 anderen Städten des Landes über 2.500 Sympathisanten dem Hungerstreik angeschlossen haben. In der Hauptstadt Tirana verbarrikadierten sich 115 Demonstranten in einem Gebäude, dieses wurde von der Polizei umstellt. In anderen Städten gingen die „Ordnungskräfte“ mit Schlagstöcken gegen die Hungerstreikenden vor.
Während das staatliche Fernsehen die Vorfälle herunterspielt und von „einer Gruppe rechtsextremer Abenteurer“ spricht, die das Land destabilisieren wollten, haben die Ex-Gefangenen nahezu alle Tageszeitungen auf ihrer Seite – und die Sympathie der gewandelten Altkommunisten. Vor allem das ehemalige kommunistische Zentralorgan Zeri i Popullit, auch heute wieder die größte Zeitung des Landes, stellt sich hinter die Proteste. In einer paradoxen Allianz fordern Ex-Stalinisten und Ex- Häftlinge ein Ende der Berisha- Amtszeit. Ihre politischen Sprecher bezeichnen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Albaniens als Despot, ihm gehe es nur um die Absicherung der eigenen Hausmacht. Vor allem die im Juli verhängten Gefängnisstrafen von bis zu elf Jahren gegen Mitglieder der letzten KP-Regierung unter Ramiz Alia sehen viele Albaner als Ergebnis eines Schauprozesses gegen unliebsame Berisha- Gegner. Sie halten Alia zugute, daß der Altstalinist 1990 „keine chinesische Lösung“ suchte, sondern während der sanften Revolution freiwillig abtrat, demokratische Wahlen ausschreiben ließ und alle politischen Häftlinge freigelassen wurden. Damals waren es immerhin rund 120.000 Personen, die aus politischen Gründen in Haft oder in der Verbannung zu leben hatten. Die meisten von ihnen fanden bisher jedoch keine neue Wohnung und auch keinen neuen Arbeitsplatz. Berisha begnügte sich, ihre Entschädigungsansprüche zwar als gerechtfertigt zu bezeichnen, behauptete aber, aufgrund leerer Staatskassen sei man nicht in der Lage, den Forderungen nachzukommen. Dafür würden zwischen 150 bis 300 Millionen Dollar benötigt, was dem Verteidigungs-, Bildungs- und Kulturetat für drei Jahre entspreche, argumentierte der Präsident und zahlte überhaupt keine Wiedergutmachungen aus. Statt dessen wurde enteigneter Besitz zum Eigentum der Demokratischen Partei erklärt, dessen Vorsitzender Berisha ebenfalls ist. Am Montag soll nun ein Gericht in Tirana darüber befinden, ob der Streik illegal sei. Karl Gersuny
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