Sanssouci: Nachschlag
■ "Das Bildnis des Dorian Gray" im Theater Fürst Oblomov
Es war schon ungewöhnlich, als gleich zu Beginn der Premiere verkündet wurde, daß sich einer der vier Schauspieler im Krankenhaus befand. „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde stand auf dem Spielplan der Theatergruppe Oktagon, zu Gast im Zimmertheater Fürst Oblomov. Doch wen sollte dieser fehlende vierte Mann eigentlich darstellen? Seine Abwesenheit bewirkte ein verwirrendes Wechsel- und Rollenspiel, in dem einzelne Passagen mit dem Textbuch in der Hand abgelesen wurden. Oder war alles geplant? War er, der vierte Mann, ursprünglich der Darsteller des Dorian Gray, der hingerissen auf sein Portrait blickt und, geblendet von eigener Schönheit, die schicksalhaften Worte ausspricht: „Wenn ich immer jung bleiben könnte, und das Bild dafür alt und häßlich und unansehnlich.“ Dorian Gray muß äußerlich jung und schön bleiben, während das Bild seiner Persönlichkeit verfällt. Am Ende wird dem verbitterten Dandy klar, daß ihm die Rückkehr zur Menschlichkeit ebenso verwehrt bleibt wie die Erfüllung durch sinnliche Genüsse. Er bringt sich schließlich um, sehnsüchtig nach innerer Einheit. Doch statt eines Todesschreis hört man zwei.
Es könnte aber auch von Anfang an das Konzept gewesen sein, die gespaltene Persönlichkeit des Protagonisten zu zeigen, ohne ihn selbst zu verkörpern. An seiner Statt stellen sowohl Basil Hallward, der Maler des Portraits, als auch der diabolisch-dekadente Wortkünstler Lord Henry Wotton die Schizophrenie Dorian Grays dar. Und unser rätselhafter vierter Mann sollte, wie es in den Programmzetteln steht, Janus, James Vane und Alan Campbell verkörpern, mit denen Dorian Gray sein mörderisches Spiel treibt. Doch auch diese wurden in der sehr willkürlich gekürzten Bühnenfassung gar nicht erwähnt.
An diesem Abend überzeugte einzig und allein Anna Zimmer, die Schauspielerin der Sybil Vane, der Hure und der Herzogin. Den anderen beiden Schauspielern (Michael Sauer und Justus Carriere) gelang es nicht, ihre Rollen und den Text zu beleben. Ihre Sprechweise wirkte monoton, Gestik und Mimik blieben körperlos. Aber vielleicht sollte all dies den alles überschattenden Todeshauch, die leichenhafte künstliche Existenz der Figuren, ihre Vergänglichkeit, vermitteln. Das karge Bühnenbild mit Alustangen, grausilbernen Stoffballen und einem schwarz- verhangenen Oktagon, um das herum eine Zeichnung einen zerbrochenen Spiegel andeutet, erweckte den Eindruck einer unvollendeten Probebühne. Ein einziges Mal nur kam Bewegung ins Publikum, ein Lachen, ein neidischer Aufschrei: Während die Zuschauer vor Hitze fast umkamen, streckte Lord Henry Wotton alias Dorian Gray oder Dorian Gray alias Lord Henry Wotton genüßlich seine Füße in eine Wanne kalten Wassers.
Ulrike Liebigs Bühnenfassung wurde dem Roman von Oscar Wilde nicht gerecht, und auch ein Bezug zur heutigen Zeit – Krise des künstlerischen Selbstverständnisses zwischen Ideal und Realität – blieb ausgespart. Vielleicht hätte ja der Mann im Lazarett Aufklärung und Verständnis bringen können. Henriette Klose
Weitere Vorstellungen im August von Dienstag bis Sonntag um 20 Uhr. Theater Fürst Oblomov. Neue Promenade 6, Mitte.
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