: Jäger zielt scharf am Gesetz vorbei
■ Innenverwaltung plant erkennungsdienstliche Behandlung von Kriegsflüchtlingen, um „Sozialmißbrauch“ einzudämmen
Die Senatsverwaltung für Inneres plant, eine generelle erkennungsdienstliche Behandlung für Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien einzuführen. Ihre Fingerabdrücke sollen im Zentralcomputer des Bundeskriminalamtes gespeichert werden. Staatssekretär Armin Jäger verspricht sich davon, daß die Ausländerbehörden künftig keine doppelten Duldungen mehr ausstellen, wenn sich ein Kriegsflüchtling unter mehreren Identitäten meldet. Außerdem soll damit ein Mehrfachbezug sozialer Leistungen verhindert werden.
Jäger übersieht bei seiner Ankündigung allerdings, daß es für eine grundsätzliche ED-Behandlung von Kriegsflüchtlingen keinerlei gesetzliche Grundlage gibt. Bei der Innenministerkonferenz am 6. Mai diesen Jahres plädierten zwar fast alle Länder dafür, diese einzuführen. Weil Hessen dagegen stimmte, kam der notwendige einstimmige Beschluß jedoch nicht zustande. Derzeit kann eine erkennungsdienstliche Maßnahme bei Kriegsflüchtlingen nur durchgeführt werden, um beispielsweise nach dem Verlust des Passes ihre Identität festzustellen.
Dennoch verkündete Jäger in der Berliner Morgenpost, daß er die erkennungsdienstliche Behandlung „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ einführen will. Es gelte nur noch, die entsprechenden Computer anzuschaffen.
Obwohl dies keineswegs in sein Ressort fällt, hat sich Jäger auf die Fahnen geschrieben, damit den Sozialhilfebetrug durch Kriegsflüchtlinge zu unterbinden. Das Landeskriminalamt ermittelt gegenwärtig in 500 Verdachtsfällen, in denen Kriegsflüchtlinge mehrfach Sozialleistungen abkassiert haben sollen. Das bedeutet, daß von 40.000 Kriegsflüchtlingen 1,25 Prozent verdächtigt werden. Nach Angaben der Innenbehörde legen die Betrüger beim Sozialamt entwendete Blanko-Originalpässe aus Bosnien vor, bei denen auch die Innenbehörde nicht erkennen kann, ob sie mit falschen Angaben nachträglich ausgefüllt wurden.
Während der Pressesprecher der Innenbehörde schätzt, daß etwa 10 Prozent der Kriegsflüchtlinge mehrfach Sozialleistungen beziehen könnten, geht die Senatsverwaltung für Soziales von weitaus geringeren Zahlen aus. „Wir haben keine Erkenntnisse, daß Kriegsflüchtlinge verstärkt Leistungen erschleichen“, sagt Pressesprecherin Rita Hermanns. „Wenn so etwas vermehrt vorkäme, würden die Bezirke Alarm schlagen.“ Das sei bis jetzt aber nicht passiert. „Natürlich hatten wir Fälle von Mehrfachleistungen. Das leugnet auch keiner“, sagt sie, aber den von der Innenverwaltung geschätzten Umfang könne sie keinesfalls bestätigen. Hermanns verweist darauf, daß die Bezirksämter bereits Vorkehrungen getroffen hätten, um Doppelauszahlungen zu vermeiden. So müssen neuerdings Paßersatzbescheinigungen mit einer Bezirkskennziffer versehen werden. Außerdem wird, wenn keine gültigen Papiere vorliegen, seit dem 1. April auf der Grundlage des Ausländergesetzes eine ED-Behandlung durchgeführt. „Wir sehen keinen Anlaß zu anderen Regelungen, es sei denn, es legt uns jemand konkrete Angaben vor. Aber das kann auch Herr Jäger nicht“, so Hermanns.
Daß sein Vorschlag einer flächendeckenden ED-Behandlung ohnehin nicht geeignet ist, den Mehrfachbezug von Sozialleistungen zu vermeiden, hat Jäger in der Welt selbst eingeräumt: Ein Abgleich der gespeicherten Fingerabdrücke mit den Daten der Sozialbehörde sei aufgrund der Datenschutzrichtlinien nicht möglich. Allenfalls, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, können im Einzelfall Daten zwischen Innen- und Sozialverwaltung ausgetauscht werden. Dorothee Winden
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