piwik no script img

Heiliges Land, ein Jammertal Von Tomas Niederberghaus

Carsten hatte alles getan, unseren Kreuzberger Hinterhausgarten in heiliges Land zu verwandeln. Im April ackerte er sich durch die 20 Quadratmeter Gebüsch wie durch eine Kolchose und befand nach Tagen der Maloche: „Im Sommer haben wir eine Oase, mit Goldregen, Männertreu und einem richtigen englischen Rasen.“ Martin konnte die grüne Hoffnung kaum goutieren. „Spießig“, sagte Gerhard, „na und? Wenn andere im Sommer zwischen plärrenden Kindern und Fleischbergen im Park liegen, haben wir hier unseren Spaß.“ Wie ein Arzt die Fieberkurve eines Patienten begutachtet, starrten wir jeden Morgen auf die fingerdicke Samenfläche. Eines Tages war es dann soweit: Grüner Flaum hatte den Mutterboden bedeckt. Schon zwei Wochen später hüpften wir durchs frische Gras und stutzten die Halme mit der Küchenschere. Das abgeschnibbelte Zeug faulte zu kleinen Klecksen zusammen.

„Der gute Rasen“, wetterte Carsten, „wir brauchen dringend einen Elektromäher.“ Carsten hatte das Wort „Elektro“ seltsam betont. Und schon zwei Tage später stand der TÜV-geprüfte „Turbo-Craft“ auf unserem kleinen Anger. Carstens Augen funkelten. Doch der höhenverstellbare Megamäher kam nur einmal zum Einsatz. Verschiedene Vorfälle hatten unser heiliges Land nämlich zum Jammertal schrumpfen lassen. Zunächst hatte sich ein Mitbewohner erdreistet, die Fläche verfrüht mit einer Sonnenliege einzuweihen. Das rostige Teil brach zusammen. Die Stangen rissen dicke Löcher ins Grün. Trotz gezielter Spurensuche war der Täter nicht auszumachen. Zu Gerhards Geburtstag kam dann die bayerische „Audi“ mit ihrem broilerfarbenen Köter namens „Bärle“ zu Besuch. „Schön habt Ihr's“, sagte Audi, „hier könntet Ihr auch toll einen Hund halten.“ „Genau das wollen wir nicht“, sagte Carsten und schielte skeptisch auf Bärle. Der buddelte und pinkelte, was das Zeug hielt. Gute fünf Minuten tobten die Gäste über den Rasen, bis das Viech eingefangen war.

Unsere Grünfläche war inzwischen zu einem schwarz-braun- gefleckten Leopardenfell verfärbt. Nur durch einen Zufall kam der wahre Grund für das Malheur ans Licht. Mein Freund und ich hatten ob der Hitze unseren Schlafplatz im Freien aufgeschlagen. Nachts wurden wir geweckt: Wind wirbelte den Mutterboden um unsere Ohren. „Es ist ja wie in der Wüste“, murmelte mein Freund, „wässert Ihr den nie?“ In der Tat: Jeder hatte sich in Sachen Gießen auf den anderen verlassen. Wohl deshalb wirkte das Männertreu wie Frauenkraut und der Goldregen wie ein Trockengesteck. Gleich morgens griff mein Freund zum Gartenschlauch und setzte unser Heiligtum unter Wasser. Auf den hitzigen Flächen verdampfte das Wasser zu kleinen Wölkchen. Die Luftfeuchtigkeit stieg derart an, daß Gerhard schon nach zwei Minuten mit dem Neigungswinkel eines Greises den Garten verließ.

Gestern haben wir unsere Oase zu einem Landschaftsschutzgebiet erklärt. Ein Schild warnt: „Betreten der Fläche verboten.“ Schon Stunden später trauten wir unseren Augen nicht: Jungdrosseln hatten sich das Leopardenfell als Flugschneise zu eigen gemacht und probten die ersten Flügelschläge. Daraufhin legten wir uns doch in den Tiergarten – zwischen Fleischberge und plärrende Kinder.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen