: Die ideologisierte Rückkehr des großen Geistes
■ Über die konservativen Versuche, einen Mythos umzuschreiben
Der Alte Fritz hat Konjunktur. Seit Sanssouci dem „wiedervereinigten“ Deutschland in den Schoß gefallen ist, treibt die Legendenbildung um den preußischen König neue Blüten. Zu den dramaturgischen Höhepunkten der touristischen Führungen gehört die Geschichte der „Heimkehr“ der königlichen Knochen, die 1991 begleitet von Kanzler Kohl und militärischem Pomp in der Gruft am Lustschloß versenkt wurden. In Hochglanzbroschüren, Reiseführern und auf Videokassetten beginnt die Wiederentdeckung des Parks von Sanssouci als Spiegelbild eines „großen Geistes“.
Zum 250. Wiegenfest von Sanssouci dröhnt offiziell die Fritze- Hymne: „Die Faszination, die von dem Ort durch seine künstlerische und historische Einmaligkeit ausgeht, liegt in der Person Friedrichs des Großen begründet“, meint Hans-Joachim Giersberg, Generaldirektor der Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci. Geschichte wird wieder personifiziert, als hätte es im Westen keine Kritik an der Herrschaftsperspektive der Geschichtsschreibung gegeben. Von den schöpferischen Leistungen des Königs ist die Rede, als müßte sich der Osten die stereotypen Produktivkräfte der Arbeiter- und Bauern-Geschichte mit barockem Schwung und klassizistischer Großartigkeit aus dem Gedächtnis spülen. Weit genug weg von den Wirklichkeiten der geteilten deutschen Staaten, weit noch vom Faschismus und selbst mit Abstand zu den Krisen der wilhelminischen Epoche, bietet der Aufbau Preußens zur kleinsten unter den europäischen Großmächten West- und Ostdeutschen einen gemeinsamen Punkt der stolzen Identitätsfindung. Neudeutsche Großmannssucht bedient sich der preußischen Tugenden.
Große Männer – große Ziele: „Alles, was bedeutend ist in Potsdam, kommt aus dem Mantel des Königs“, reduziert der Verleger Wolf Jobst Siedler gar das Erlebnis einer Stadt auf das Denkmal einer Person, „wenn das auch nicht gern ein Zeitgeist hört, der ,große Männer‘ in der Geschichte nicht zur Kenntnis nimmt.“ So verschiebt sich das Interesse, mit dem der Mythos vom geistreichen Philosophen in seinem weltvergessenen Arkadien fortgeschrieben wird, immer mehr zugunsten einer konservativen Politik. Der Mythos wird zum Ersatz für die Geschichte funktionalisiert, das Märchen Sanssouci den preußischen Expansionskriegen vorgeblendet. Die Kunstleidenschaft des Königs und die Sehnsuchtsbilder seiner Architektur lenken den Blick ab von seinen Kampagnen der Disziplinierung und Normierung des Bürgertums. Wird Sanssouci zum Erlebnispark der Begegnung mit Friedrich II. ganz persönlich stilisiert, dann hat die Schauseite der Geschichte endgültig über die von ihr ausgeblendete Wirklichkeit triumphiert.
„Sanssouci zeigt ein anderes Gesicht Preußens“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe und meint die Absolution vom aggressiven Militarismus. Zweifellos ist keine andere Kulisse derart geeignet, das Theaterstück von Preußens Glanz und Glorie aufzupolieren. Wer kann schon der Schwärmerei für diesen Park der Schlösser und Tempelchen entgehen, sind wir doch in unserem Alltag von einer Befriedigung der Sehnsucht nach Arkadien weiter entfernt denn je. Aber Sanssouci ist mehr als das Denkmal eines Königs. Die anhaltende Ausdrucksstärke des kulturhistorischen Ensembles liegt in seiner Widersprüchlichkeit. Ist ein größerer Kontrast denkbar als der zwischen der Intimität von Sanssouci und dem 20 Jahre später von Friedrich in Auftrag gegebenen Neuen Palais, einem repräsentativen 200-Zimmer-Schloß, an dem bis zu den dicken Puttengesichtern über den Ochsenaugen im Obergeschoß alles eine Spur zu groß ausgefallen ist? In dieser Polyphonie von Rokoko-Eleganz und kolonialer Exotik, von Antikezitaten und Natursehnsucht, erlebt der Besucher die verrückten Splitter einer kulturellen Identität, die sich ihre Modelle in der Geschichte zusammenklaubte.
Zum Jubiläum eröffnet die Schlösser-Verwaltung die Ausstellung „Von Sanssouci nach Europa“ mit jenen Geschenken aus Porzellan, die Friedrich II. als Zeichen der Freundschaft und Mittel der Diplomatie an europäische Höfe verschickte. Der Titel könnte zugleich den Wunsch bezeichnen, Sanssouci aus der verengten Perspektive der Preußen-Renaissance zu befreien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen