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Das schnelle Verlangen

■ Verstörend ist der Unterhaltungsfilm: Sex & Crime & Rock 'n' Roll im Babylon

Dem Infoblatt, mit dem das Babylon-Kino seine „Sex & Crime & Rock 'n' Roll“-Reihe ankündigt, sieht man durchaus an, daß es in einer „vor Hitze närrisch gewordenen Mittagsstunde“ geschrieben worden ist, in der „der Sommer, aller Kontrolle entledigt, ohne Maß und Berechnung (...) in den Wahnsinn hinein“ wächst (Bruno Schulz). Komisch-lockende Sätze stehen da jedenfalls herum: „that's the way it is“, oder auch: Stop Making Sense. Oder aber: „It's just for fun! Baby.“ Die Filme selber, die bis zum 31. August auf der Nachtschiene des Kinos zu sehen sind, kommen entweder aus den sechziger Jahren oder verraten – wie die Streifen von Carl Andersen – eine große Liebe zum B-Picture der Sechziger. Alle sind natürlich klasse und mit dem Sachverstand des Liebhabers skurriler, verstörender, durchgedrehter Filme ausgesucht.

Einige vermögen gerade auch durch unbeabsichtigte dramaturgische Unstimmigkeiten zu begeistern. Nicht so sehr im Sinne eines Zynismus, der das Schlechte nun besonders gut findet, also dabei bleibt, es schlecht zu finden, sondern im Sinne einer Rezeption, die das Werk nicht nach den Absichten des Regisseurs mißt, sondern nach dem, was tatsächlich in dem Film passiert. Und das ist interessant, besonders dann, wenn sich ein Werk plötzlich und unverschämterweise gegen die Absichten seines nichts ahnenden Schöpfers durchsetzt und seltsame Eigengesetzlichkeiten entwickelt. Das geschieht zum Beispiel in den Filmen von Eddy Saller, der heldenhaft versuchte, amerikanische B-Film-Mechanismen ins gemütliche Österreich zu verpflanzen. Seine ohnehin schon wilden (S)Ex- ploitation-Filme – von denen das Babylon „Geißel des Fleisches“ und „Schamlos“ zeigt – verwandeln sich durch eher unbeabsichtigte „Fehler“ (die sich als V-Effekte lesen lassen) dann plötzlich in kluge Nouvelle-Vague- oder phantastische Filme.

In dem ohnehin schon spannenden Sex-&-Crime-Streifen „Schamlos“ (1968) geht es um die Geschichte von Alexander Pohlmann (Udo Kier), einem jungen Gangsterchef, der sich als Zuhälter und Schutzgelderpresser durchs verdrängte Leben schlägt. Seine Freundin, eine hübsche ambitionierte Nackttänzerin, wird erschlagen. Der Vater beauftragt die Unterwelt, den Täter zu finden. Wie in „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ finden die Gerichtsverhandlungen im Keller statt. Echte Mitglieder der Unterwelt würden in dem Film mitwirken, hieß es im Vorspann. Unterwelt und Underground vermischen sich in tollen Großstadtbars – am Rande gibt es einige coole Sixties-Bands und Otto-Mühl-Performances. Inwieweit der Film im glänzendsten Schwarzweiß auch noch mit dem Faschismus abrechnet, sei den Zuschauern überlassen. Und auch, was in dem furiosen Finale des Films im Sinne des Regisseurs danebengeht, aber im Sinne des Rezipienten großartig gelingt, sei hier nicht verraten; jedenfalls ist „Schamlos“ große extraklasse, spannend, und Udo Kier stilisiert sehr überzeugend den angry young man.

Auch Don Hendersons „Babysitter“ (USA 1968) enthält einige schöne dramaturgische „Fehler“, die dem Verlangen geschuldet zu sein scheinen, den Film schnell zu machen. Zehn Sekunden braucht eine wilde Beatband zum Beispiel, um eine wilde Party mit Ausziehen abrupt zu beenden, denn die spießigen Eltern des Babys, auf das die naiv-schöne Patricia Wymer aufpassen sollte, kommen plötzlich zurück. Auch hier – in dem heftigen Unterhaltungskino eines ziemlich cleanen Amerika – stehen neben Jahrmarktseffekten (nackte Töchter, drogensüchtige Erpresserinnen, fiese Rocker, Drogen, Mord und Todschlag) ganz reale, durchaus zerreißende Gesellschaftskonflikte, die vor Gericht verhandelt werden, denen mit den Mitteln der Justiz jedoch nicht beizukommen ist. Das im Sinne eines sauberen Amerika gewalttätig- moralische Urteil am Ende wirkt jedenfalls fast ironisch.

Die gewalttätige Moral des Busenfetischisten Russ Meyer dagegen ist ziemlich jenseitig. Sein vielleicht bester Film – „Faster Pussycat! Kill! Kill!“ (1965) – verzichtet auf jedwede Pseudolegitimation der dargestellten Gewalt- und Sexszenen. Das macht ihn zum straighten Klassiker eines am Rock 'n' Roll orientierten Films. Im Gegensatz zu Späterem läßt sich „Faster Pussycat“ durchaus emanzipatorisch lesen: Drei großbusige Amazonen jagen mit großen Autos durch eine karge amerikanische Provinzlandschaft und legen stets unterlegene Männer flach. Zum „Ekel“ ist alles gesagt. Carl Andersen, von dem auch „I was a teenage Zabbadoing“ (1988) und „Killing Mom“ (1994) zu sehen sein werden, hat den Polanski- Klassiker in „Mondo Weirdo“ (1990) produktiv verarbeitet. In seinem obsessiven Film zeigt er, daß pornographische Elemente weder sexistisch noch blöde sein müssen. Detlef Kuhlbrodt

Bis 31.8., mit wechselndem Tagesprogramm, Fr./Sa. um 22 bzw. 24 Uhr und Mi. 20/22 Uhr im Babylon-Kino, Rosa-Luxemburg- Straße 30, Mitte.

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