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In hell with Madonna

Dies ist kein Liebeslied: Abel Ferrara öffnet in „Snake Eyes“ die Madonna in Madonna und den Film im Film. Produziert wurde dieses Mal von Madonnas neuer Multi-Media-Firma „Maverick“. Was bleibt? Ein Stoßgebet  ■ Von Mariam Niroumand

„Truth or dare“ heißt ein Spiel, das so ähnlich geht wie unser Flaschendrehen. Man muß entweder ehrlich eine Frage beantworten, oder tun, was die Mitspieler von einem verlangen; eine Spinne essen, einmal nackt ums Haus laufen oder, wie Madonna in dem gleichnamigen, hierzulande albernerweise mit „In bed with Madonna“ betitelten Film, an einem Flaschenhals einen Blow Job vorführen. „Truth or dare“ ist so ein bißchen die Frage, der Madonna von Anfang an hakenschlagend ausgewichen ist. Als hätte sie zugleich eine Wünschelrute und einen Besen in der Hand, hat sie Körper- oder Beziehungstheater inszeniert, Karriereballet getanzt und zugleich immer ihre Spuren verwischt. Bekanntermaßen funktionierte das am effektivsten, indem sie alles, alles herzeigte – besser kann man nicht in Deckung gehen. Nach dem „Sex“-Buch und ein paar Filmflops, in denen sie mit ihren Role Models Marlene Dietrich („Body of Evidence“) oder Marylin Monroe („Dick Tracy“) herumjongliert hatte, schien es, als sei ihr ein bißchen die Puste ausgegangen. Weit gefehlt: Ihr letzter Winkelzug, ein shrewd move war die Gründung des Multimedia-Unternehmens „Maverick“ (Maverick ist so eine Art Hasardeur, Draufgänger) im Sommer 1992, das nun Platten, Bücher und Filme ausspucken wird, und dessen erstes Filmprojekt eben dieses hier, Abel Ferraras „Snake Eyes“, war.

Auf dem Weg in diese Independence hat sie — American artist, Star, Sex-Göttin — ein paar Federn gelassen. Im Gegensatz zu den Achtzigern scheint ihr in den Neunzigern nicht mehr so ganz klar zu sein, wo ihre Power Base liegt: auf dem white bitch-Ticket, umkränzt von schwulen schwarzen Models, kann sie nicht mehr reisen. Mit einem Klimmzug hat sie sich in die E-Kultur geschafft; statt Marylin Monroe ist sie jetzt bei Gena Rowlands tränenüberströmtem Vorbild angelangt.

Fast zwangsläufig mußte sie dabei irgendwann auf Abel Ferrara treffen, der seinerseits inzwischen auch bei John Cassavetes, Rowlands verstorbenem Ehemann-Regisseur, einiges für sich entdeckt hat. Die beiden verbindet, neben der katholischen Dolorosa-Neurosa und dem Italiens do it better ein Liebäugeln mit dem Show biz als großangelegter Hurerei, einem Rosenkranz aus ficken und gefickt werden, bei dem es einem aber immer noch dreimal so hoppla geht wie den armen Schweinen ohne Glamour, die es für umsonst tun müssen.

„Snake Eyes“ ist ein weiterer Kreis der Ferrara-Hölle, von der man durch die Racheengel in „Driller Killer“, „Bad Lieutenant“ oder der mordenden Stummen in „The Girl with the 45“ einen Vorgeschmack hatte. Hier schälen sich drei Leute, bis sie roh sind: Harvey Keitel ist Eddie Israel (!), der Regisseur eines Filmprojekts mit dem Titel „Mother of Mirrors“ (alles, was Ihnen dazu einfällt, sticht: Stabat mater, Lacan, „Lady von Shanghai“ und Jimi Hendrix, der Drogen wegen.)

„Mother of Mirrors“ zeigt die langsame Auflösung einer Yuppie- Ehe. Eddie treibt seine beiden Darsteller Sarah Jennings (Madonna) und Francis Burns (James Russo) aufeinander los, ins klaustrophobische Actors Studio. Im Horrorfilm-Blau, wie Ferrara es liebt, zum Teil mit derartig niedrigen Kamerawinkeln, daß man sich zu Haus allein mit Stephen King wähnt, sagen sich Claire und Russel, oft vor zerborstenen Spiegeln stehend, was es zu sagen gibt.

Es geht ständig um Lifestyle: Sie führten früher beide ein sogenanntes ausschweifendes Leben. Russel zwingt sie irgendwann, nachdem er ihr ein paar Haare abgeschnitten hat, ein Video von einer ihrer Rock-'n'-Roll-Sex-Orgien anzusehen. Jetzt aber ist sie katholisch geworden, und er fühlt sich verlassen. Interessanterweise bringt er gegen Madonna genau das vor, was ihr brave Kritiker auch jahrelang nachgegreint haben: sie sei ein „commercial piece of shit“, nicht authentisch genug, zu langweilig, um dumm zu sein. Regelrecht lustig-jesuitisch kommen seine Tiraden gegen die Konsumkultur (ja! So sagt er wirklich!), die Instant Gratification rüber, die Ferrara eben durchaus ernst meint. Dazu pißt Russel auf den grauen Velour, nimmt hin und wieder eine Nase Koks und fällt mehrmals grob über Claire her. Dann wieder muß er sich auf den Boden werfen wie der böse Lieutenant und zu Gott beten.

Exzeß, Exzeß: Either do more coke or more booze or do less, but you gotta give me what I want, sagt Eddie, very Actors Studio, zu Frank. Bei Ferrara selbst geht es um etwas wie Exorzismus; Filmemachen muß ihn reinigen, ein Martyrium sein. Er schafft es sogar, zum Schluß noch eine Szene aus einem Interview mit Werner Herzog einzublenden, auf dem Set von Fitzcarraldo, wo man den Dampfer noch bedrohlich überm Berg hängen sieht. Er sagt einem amerikanischen Reporter: „Natürlich war es Wahnsinn, diesen Film zu machen. Vielleicht sollte ich mich in ein Irrenhaus einliefern lassen.“ Ein Regisseur auf dem Weg ins Herz der Finsternis! Ganz so zart ist Ferrara mit Madonna nicht: Nachdem Sarah von der Vergewaltigung durch einen Fremden erzählt hat, schwenkt er auf einen aufblasbaren Frosch im Swimming-pool.

Zweierlei Filmmaterial ist im Spiel, eins für off-screen, eins für die Film-im-Film-Szenen, so daß eins ständig das andere zu dokumentieren, ihm Vérité-Charakter zu verleihen scheint. Dadurch kommt ein komisches Gemisch von analytischem Gestus und Billigschuppen zustande.

Truth or dare: So verheddert sich, je länger der Film dauert, Ebene mit Ebene. Madonna ist die Produzentin eines Films, in dem sie als Star demontiert werden, sich auflösen soll in die Tränen der Hl. Jungfrau, touched for the very first time. Als Star Sarah Jennings macht sie off-screen einige Witze, die sie sofort wieder als straßenweises Material Girl etablieren („Warum hat Gott den Mann erschaffen? Weil man mit einem Vibrator nicht den Rasen mähen kann.“) Sie schläft zunächst mit Frank, dem Russel-Darsteller, und später mit Eddie, dem Regisseur, dessen ohnehin recht fragile Kleinfamilie an dieser Affäre in die Brüche geht. Die Ehefrau Eddies, die nicht mal richtig Spaghetti kochen kann und die sich zum Ende hin immer mehr in eine nölige Alt- Hippie-Fregatte verwandelt, ist Ferraras Frau Nancy, von der es heißt, die sei absolut angewidert aus „King of New York“ geflohen.

Alle Affären enden am Küchentisch, auf dem schließlich nur noch eine Waffe liegt ... Die Auflösung off-screen befügelt die auf dem Set: Die Vergewaltigung auf dem berühmten Velour, vor den Augen der gesamten, darauf erschrocken schweigenden Crew, war „echt“. Der Film dauert die Whiskey-Flasche lang, die Russel- Frank trinken mußte. Die Gesichter aller Beteiligten wirken zum Ende wie verflüssigt; Keitel im besonderen hat auf seinem Rückflug nach L. A. praktisch keine Konturen mehr.

Es geht nicht um „Szenen einer Ehe“. Wer an Richard Burton und Elisabeth Taylor denken muß, hat nur insofern recht, als dieses einschnürende Los-Angeles-Gefühl aus „Wer hat Angst ...“ einen auch erfaßt: Wo könnten wir von hier aus noch hingehen? New York ist hier weihnachtlicher Schnee, schlechte Spaghetti, Familie, Kirche; Los Angeles ist Koks, Actors, sonnenbeschienene Longdrinks, Blue Moon. Für Ferrara mag das eine echte Krise sein; Keitel ist es wohl auch nicht fremd, aber Madonna war in der Hölle.

„Snake Eyes“. Regie: Abel Ferrara, Buch: Abel Ferrara, Nicholas St. John. Kamera: Ken Kelsch, Mit: Harvey Keitel, Madonna, James Russo, Nancy Ferrara. USA, 1993, 111 Min.

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