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„Treu sein hilft einer Frau gar nichts“

Gerade weil die Erforschung neuer Medikamente und Impfstoffe stagniert, konnte sich die 10. Welt-Aids-Konferenz neue, bisher vernachlässigte Gebiete erschließen  ■ Aus Yokohama Georg Blume

Kann es sein, daß der Kampf gegen Aids vom Sensationsmangel profitiert? Kann es sein, daß längst vergessene Verhütungsmittel mehr Menschen vor dem tödlichen Virus retten können als teure Spezialmedikamente? Wäre die Teilnahme von Prostituierten auf der 10. Welt-Aids-Konferenz in Yokohama dann möglicherweise bedeutsamer gewesen als der Beitrag vieler hochrangiger Experten?

Im Bewußtsein der Weltöffentlichkeit symbolisierte die Aids- Konferenz von Yokohama eine weitere Niederlage der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den Aids-Virus. Das lag vor allem daran, daß die wichtigsten Wissenschaftler aus der Medikamenten- und Impfstofforschung über ihre fehlenden Ergebnisse schon im voraus informierten. „Es wäre für mich eine große Überraschung, wenn wir hier in Yokohama, auf welchen Gebiet auch immer, von einem Durchbruch sprechen könnten“, prophezeite Anthony Fauci, Chef des US-Instituts für Allergie- und Infektionskrankheiten (Seite 11), schon zu Konferenzbeginn. Doch siehe da: Am gestrigen Schlußtag der Konferenz standen zahlreiche Teilnehmer bereit, Fauci zu widersprechen.

„Für Frauen war Yokohama ein Durchbruch. Zum ersten Mal während einer Welt-Aids-Konferenz standen Frauenanliegen im Zentrum des Programms“, bemerkte die New Yorker Rechtsanwältin und Aids-Aktivistin Elizabeth Cooper. Anlaß für diese Beobachtung gab vor allem der Vortrag der New Yorker Ärztin Lena Stein, die mit ihren Studien über die Möglichkeiten von Frauen, sich eigenständig gegen HIV-Infektionen zu schützen, Aufsehen erregte.

Gerade noch hatte der Forschungschef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Peter Piot, das Kondom für Männer als einzig verläßliche Waffe gegen die Verbreitung des Aids-Virus gepriesen, da wagte Stein die Gegenrede: „Ich explodiere jedesmal, wenn Männer sagen, Kondome und Partnertreue reichen aus zur Vorbeugung gegen Aids.“

Die Ärztin berief sich auf zehn Jahre Aids-Forschung und die Allerweltsweisheit, daß Männer gerne auf Kondome pfeifen, um festzustellen: „Wenn eine Frau treu ist, hilft ihr das gar nichts.“ Frauen müßten sich selbst helfen. Glücklicherweise war die New Yorker Ärztin schon im Beruf, als es noch keine Baby-Pille gab. „Damals nahmen wir alle Nonoxynol 9“, erinnerte sich Stein in Yokohama. Als sie dann später auf die Idee kam, das alte Desinfektionsmittel Nonoxynol 9 (N-9) zur Vorbeugung gegen Aids einzusetzen, war ihr das Hohngelächter der Wissenschaftsgemeinde gewiß. „Zwei Jahre habe ich benötigt, um für einen 1990 verfaßten Aufsatz über Nonoxynol und Aids einen Verleger zu finden“, erinnerte sich die Ärztin. Tatsächlich ergaben Studien Steins, daß N-9 bei besonders gefährdeten Frauen, beispielsweise im Prostitutionsgewerbe, die Empfänglichkeit für den HIV-Virus um etwa die Hälfte reduziert. Seit einem Jahr fördert nun auch die WHO und die US- Regierung die Forschung mit N-9 und anderen vaginalen Microbiciden. Doch zuvor wurden in diesem Forschungsbereich mehr als zehn Jahre vergeudet. „Weil man Aids im Westen auch dann noch als Männerkrankheit betrachtete, als die Infektionsrate für Frauen in Afrika schon höher als bei Männern lag“, kommentierte Stein. „Aber auch weil die Männerforschung einen Quick-fix suchte, und die Technologisierung der Forschung die Rückbesinnung auf einfachere medizinische Methoden verhinderte.“

Maggie von der Prostituiertengemeinde aus Toronto sah das genauso. „Erstmals sind wir nicht nur die Objekte der Forschung, sondern können uns offen zu Wort melden.“ Natürlich sei das Moralisieren gegen Prostituierte immer noch hier und da zu hören, räumte Maggie ein. „Doch die Erkenntnis, daß die Betroffenen Teil der Lösung seien müssen, setzt sich durch.“ Tatsächlich bekam die kanadische Sexarbeiterin bei ihren Interventionen heftigen Applaus.

Gerade diejenigen, von denen man in vergangenen Jahren die härteste Kritik am Konferenzgeschehen vernommen hatte, versuchten das Geschehen in Yokohama zu rechtfertigen. „Der Einfluß der Basisbewegung ist größer als auf jeder der sechs Konferenzen, die ich bisher besucht habe“, beobachtete der senegalesische Arzt Abdelkader Bacha, Leiter einer privaten Aids-Initiative. Nicht etwa, daß Bacha seine alten Vorbehalte aufgegeben hatte: „Immer noch werden 80 Prozent der Konferenzmittel in die medizinische Forschung gesteckt, obwohl klar ist, daß neue medizinische Erkenntnisse derzeit nicht der Schlüssel im Kampf gegen Aids sind.“

Bacha verwies auf die erste regionale Aidskonferenz von Basisgruppen in Kamerun 1992, als man sich einig war, daß herkömmliche Antibiotika gegen Aids-verbundene Krankheiten in Afrika die meisten Menschenleben retten könnte. Dennoch resümierte der Senegalese versöhnlich: „Der Mut der Menschen, die mit Aids leben und hier auftraten, gibt mir die Kraft für meine Arbeit mit Aids- Patienten in Afrika.“ Zum Abschluß wünschten die Konferenzteilnehmer vor allem den Regierungen größeren Mut. Da kurzfristige Erfolge in der Forschung nicht mehr zu erwarten sind, liegt es in Zukunft an der Politik, größere Mittel für langfristige Präventions- und Behandlungsprogramme bereitzustellen.

Zu diesem Zweck organisiert die französische Regierung am 1. Dezember in Paris einen „Aids- Gipfel“ mit Einladung an 40 Regierungschefs aus Nord und Süd. „Wir benötigen keinen weiteren Wissenschaftskongreß, sondern ein klares politisches Bekenntnis der Regierungen“, verkündete die französische Gesundheitsministerin Simone Veil gestern in Yokohama. Es wäre vor allem für die Dritte Welt ein Hoffnungsschimmer, wenn die Stagnation der Aids-Forschung der allgemeinen, vorsorgenden Gesundheitspolitik im Kampf gegen Aids neuen Auftrieb gibt. Denn nur die einfachsten Mittel und Methoden könnten die meisten Opfer in Afrika und Asien eines Tages auch erreichen.

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