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Das Ende eines Stehaufmännchens

Mit der Eroberung der „Autonomen Provinz Westbosnien“ durch die bosnische Armee scheitert ein Versuch zur Teilung Bosniens / „Präsident“ Abdić hat alle Sympathien verspielt  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Sitzt er noch in seiner „Hauptstadt“ Velika Kladuša, oder ist auch er schon in die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens geflohen? Sicher ist nur, daß Fikret Abdić, der muslimische Geschäftsmann und „Präsident“ der „Autonomen Region Westbosnien“ in der muslimischen Enklave um die Stadt Bihać, militärisch gescheitert ist. Die bosnische Armee steht vor seiner Haustür, der sonst so erfolgsgewohnte Abdić muß um sein Leben fürchten. Auf Unterstützung kann er nicht mehr hoffen: Längst hatte sich der einstige Volksheld völlig diskreditiert. Denn das Stehaufmännchen, dem es in den siebziger Jahren gelungen war, im armen Velika Kladuša „Agrokomerc“, den größten Agrarkonzern Jugoslawiens, aus dem Boden zu stampfen, hatte sich mit denen eingelassen, die den bosnischen Staat zerstören wollen.

Seit Herbst letzten Jahres war Abdić für die serbische und die kroatische Führung diejenige Kraft auf der bosnischen Seite, mit der sie die Teilung Bosniens durchsetzen wollten. Schon im Sommer 1993 hatten die internationalen Vermittler David Owen und Thorvald Stoltenberg versucht, das damalige Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums als Verhandlungsführer Sarajevos in Genf aufzubauen. Für Abdić, dessen Wort damals einiges galt, sprach zudem, daß er das Wohlwollen der französichen UN-Truppe im westbosnischen Bihać besaß. Der sozialistische Mustermanager, der 1988 wegen eines Korruptionsskandals verhaftet und dann wieder triumphal in den Agrokomerc-Chefsessel eingezogen war, paßte also allgemein ins Bild: Unter seiner Führung wäre Bosnien von Präsident Alija Izetbegović und dem Anspruch auf eine eigenständige politische Existenz „befreit“ worden.

Folgerichtig bekam Abdić von allen Seiten Privilegien zugeschanzt. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman stellte ihm einen Freihafen in der Hafenstadt Rijeka zur Verfügung, die Führung der „Serbischen Republik Krajina“ ließ die Lastwagen durch ihr Territorium ins benachbarte Velika Kladuša rollen. Von dort aus konnten die Güter – unter den Augen der UNO – ihre Reise in das unter UN-Embargo stehende Serbien fortsetzen. Da die rund 35.000 Menschen in Abdićs Ministaat – dessen Größe genau dem Territorium entspricht, auf dem sein Konzern Fabriken hat – auch im letzten Winter keinen Hunger zu leiden brauchten, erhoffte man sich zudem einen Überläufereffekt bei den 320.000 hungernden Menschen in dem von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebiet.

Doch es kam alles ganz anders. Obwohl Fikret Abdić von der serbischen Seite mit Söldnern und Waffen versorgt wurde, gelang ihm der Durchbruch im Krieg gegen die „muslimischen Brüder“ im Süden nicht, die Bosnien treu geblieben waren. Sogar in dem von Abdić kontrollierten Gebiet begann die Bevölkerung zu revoltieren. Abdić unterstützten lediglich die rund 20.000 Menschen, die bei Agrokomerc angestellt waren. Abdić begegnete dem Widerstand mit Terror, in Velika Kladuša gab es über 800 politische Gefangene, viele von ihnen wurden gefoltert, manche ermordet. Vielleicht ist dies mit ein Grund, weshalb so viele von Abdićs „Wehrpflichtigen“ in den letzten Tagen zu den bosnischen Truppen übergelaufen sind. Schon im Juni waren 1.500 seiner Soldaten bei Bihać, das sie über serbisch kontrolliertes Gebiet erreicht hatten, „aufgerieben“ bzw. von der bosnischen Armee gefangengenommen worden. Nun, wo sogar seine Söldner ihn verlassen, wird er seine „Hauptstadt“ wohl aufgeben müssen. Die bosnische Armee verzögert den Durchbruch nur noch aus Angst vor einer Zerstörung der Industrieanlagen.

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