: In Zukunft ausgeschlossen?
■ Peter Marqua, Geschäftsführer beim Deutschen Richterbund, fürchtet nach dem Mannheimer Urteil um das Ansehen der Justiz
taz: Herr Marqua, das Urteil des Mannheimer Landgerichts gegen den NPD-Chef Deckert ist von beachtlicher Sympathie für den Angeklagten getragen. Ist diese Entscheidung juristisch zu korrigieren, und gibt es Möglichkeiten, gegen den Vorsitzenden Richter Müller vorzugehen?
Peter Marqua: Die Staatsanwaltschaft hat ja bereits das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Jetzt wird sich der Bundesgerichtshof zum zweitenmal mit diesem Fall beschäftigen müssen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Im übrigen: Es ist keine Entscheidung des Richter Müller, sondern der 6. Kammer. Alle drei mitwirkenden Richter sind zu gleichen Teilen verantwortlich.
Gibt es denn Möglichkeiten, gegen die sympathisierende Haltung der 6. Strafkammer vorzugehen?
Ich sehe dafür keine Handhabe. So schockierend und nicht nachvollziehbar die Urteilsbgründung auch ist – es ist eine Entscheidung, die in richterlicher Unabhängigkeit getroffen worden ist. Und diese richterliche Unabhängigkeit ist vom Grundgesetz garantiert. Alles, was in den Kernbereich der Rechtsprechung fällt, ist eben nur im Wege der ordentlichen Rechtsmittel angreifbar.
Personalpolitisch lassen sich keine Konsequenzen ziehen?
Nein.
Zu Ende gedacht heißt das dann, die 6. Kammer kann jederzeit ähnliche Urteile mit ähnlichen Begründungen fällen?
Es ist nicht auszuschließen, wenngleich ich das nicht für wahrscheinlich halte. Sosehr dieses Urteil dem Ansehen der Justiz schadet, so ist es doch Gott sei Dank ein einzelner Ausreißer, den wir nicht jeden Tag, jede Woche oder jeden Monat zu verzeichnen haben. Ich hoffe, daß die breite öffentliche Diskussion, die jetzt eingesetzt hat, alle zum Nachdenken bringt und solche Vorfälle in Zukunft ausgeschlossen bleiben.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes hat den Richter Müller wegen Volksverhetzung angezeigt.
Das ist jetzt Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Da ich die Einzelheiten des Urteils nicht kenne, ich kenne nur die inkriminierten Passagen, kann ich hier von Bonn aus dazu keinen Kommentar abgeben.
Ist es überhaupt möglich, einen Richter wegen einer Urteilsbegründung zu belangen?
Ein Richter kann wegen schwerer Straftaten angeklagt werden. Das gilt insbesondere, wenn er sich der Rechtsbeugung schuldig macht – dann muß er natürlich damit rechnen, aus dem Dienst entfernt zu werden. Aber so schlimm die Urteilsbegründung ist, mit Rechtsbeugung wird man hier wohl nicht weiterkommen. Denn das würde voraussetzen, daß das Recht vorsätzlich falsch angewendet wurde.
Das Mannheimer Urteil hat den Vorwurf neu belebt, daß die bundesdeutsche Justiz auf dem rechten Auge blind ist...
Das ist auch unsere große Enttäuschung und Sorge. Wir versuchen als Richterbund seit langem, diesem Vorurteil – und wir sehen darin ein Vorurteil, daß die heutige Richtergeneration auf dem rechten Auge blind sein soll – entgegenzuwirken. Die Mannheimer Entscheidung wirft uns aber um Jahre zurück. Interview: Wolfgang Gast
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen