: Deckert-Richter sollen vor Gericht
■ Anzeige wegen Volksverhetzung / Aktuelle Stunde des Bundestags zum Urteil
Bonn (dpa/AFP) – Ganz Deutschland redet über sie, doch sie selber schweigen sich in eigener Sache aus. Der Vorsitzende Richter am Mannheimer Landgericht, Wolfgang Müller, dessen Kammer den NPD-Chef Günter Deckert zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hat, und der Beisitzer Rainer Orlet, der die skandalöse Begründung des Urteils mitverfaßt hat, waren auch gestern zu keiner Stellungnahme bereit. Die werden sie vielleicht jedoch an für sie gewohntem Ort in für sie ungewohnter Position abgeben, sollte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Baden-Württemberg mit ihrem Strafantrag Erfolg haben. Sie zeigte die zuständigen Richter des Mannheimer Landgerichts wegen Volksverhetzung an. Der Strafantrag sei am Mittwoch bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eingereicht worden, sagte eine Sprecherin. Die Urteilsbegründung, begründete die VVN ihre Klage, atme „den Geist der rechtsradikalen Sympathisantenszene“.
Auch der Staatsanwalt in dem Volksverhetzungsprozeß gegen Deckert, Hans- Heiko Klein, will die Urteilsbegründung auf strafbare Äußerungen der Richter prüfen. Theoretisch sei es den Strafverfolgungsbehörden möglich, gegen Richter vorzugehen. Auch ein Richter dürfe nicht alles in ein Urteil schreiben, was er vielleicht denke, sagte Klein. Klein hatte, wie auch die Verteidigung Deckerts, bereits Revision gegen das Urteil eingelegt. Daran wird nun die Hoffnung geknüpft, daß der Bundesgerichtshof nicht nur, wie beantragt, das Strafmaß revidiert, sondern zugleich auch die Urteilsbegründung kassiert. Gegen die an dieser Begründung beteiligten Richter wurden gestern anonyme Morddrohungen ausgesprochen.
Der Präsident des Mannheimer Landgerichts, Gunter Weber, sprach sich gegen eine Suspendierung der Richter aus. Er kündigte jedoch für den kommenden Montag eine Richterkonferenz an. Anschließend werde das Präsidium prüfen, „wie die beteiligten Richter noch verwendet werden können“.
Es sei „fraglich, ob sie Strafverhandlungen in näherer Zukunft überhaupt noch führen können, ohne die Funktionsfähigkeit des Gerichtes zu beeinträchtigen“. Müller und seine beiden Beisitzer könnten beispielsweise an eine Zivilkammer versetzt werden.
Das Urteil gegen Deckert wird nicht nur den Bundesgerichtshof in Karlsruhe, sondern auch den Bundestag beschäftigen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Heiner Geißler, und Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt (SPD) regten gestern eine aktuelle Stunde in der ersten Sitzungswoche des Parlaments nach der Sommerpause an. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer forderte in Düsseldorf den baden-württembergischen Justizminister Thomas Schäuble (CDU) auf, dienstrechtliche Konsequenzen gegen den Richter zu prüfen. SPD-Chef Rudolf Scharping sagte in Dresden: „Ich hoffe sehr, daß dieser empörende Vorgang schon in der Justiz korrigiert wird.“ Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) forderte die Aufhebung des Urteils gegen Deckert. Die in der ÖTV organisierten Richter und Staatsanwälte bezeichneten die Urteilsbegründung als „Gesinnungshilfe für Rechtsradikale und Antisemiten“. Die Richter und Staatsanwälte distanzierten sich „entschieden“ von ihren Mannheimer Kollegen. Seiten 3 und 10
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