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Jedes Ende ist ein Neubeginn

Die East Side Gallery in Ostberlin ist zwischen Denkmalschutz und Verfall hin- und hergerissen / Eine Zustandsbeschreibung mit letzten Mauer-Grüßen  ■ Von Kathi Seefeld

„Ist sie nicht? Aber – das muß sie doch sein, die Mauer.“ Ein wenig enttäuscht läßt Matthew seine Kamera sinken. Sacharows Totenmaske muß warten. Und das Gänsehautkriegen angesichts einer Gruselstätte deutsch-deutscher Geschichte findet nicht statt. Okay, sagt der Student aus Iowa, macht doch noch sein Foto, dann eben Hinterlandmauer, ist ja trotzdem sehr spannend. Freunde, die im vergangenen Jahr in Berlin waren, hatten ihm von der East Side Gallery erzählt.

1,3 Kilometer lang, 3,45 Meter hoch, hatten sich 118 Künstler aus aller Welt im Jahr 1990 auf 108 Mauersegmenten verewigt. Das stehe in der Broschüre, so Matthew, die ihm „a very beautiful girl“ mit schwarzem Haar und Mandelaugen in dem kleinen Galerieladen für drei Mark verkauft hatte. Drei Mark für ein paar dürre Informationen, die man auch in der Kneipe beim Bier erfragen könnte.

Wie sich Touristen dieses Erdballs doch gleichen. Matthew gehört zu der eher harmlosen Variante. Andere gaben hier ihrem Bedürfnis nach, den Rest der Welt zu grüßen oder mitzuteilen, daß sie Agnes lieben.

„Ich finde das überhaupt nicht tragisch“, sagt Ursula Wünsch, Künstlerin aus dem Osten Berlins, die ihr Mauerbild den Kindern widmete. „Dort ist neue Kunst entstanden, Aktionskunst aus dem Alltag heraus. Etwas anderes haben wir damals ja auch nicht gemacht, nur daß die Themen andere waren.“

Es würde ihr nicht weh tun, wenn die Mauer eines Tages nicht mehr da stünde. Die Stadt entwickelt sich, muß sich entwickeln. Die Graffitis, die Durchbrüche, die die hinter der East Side Gallery lebenden Rollheimer angelegt haben, um mit ihren Wagen besser durchzukommen, all das habe mit dem respektlosen Umgang in dieser Stadt zu tun. Andere sehen das anders.

Eine Künstlerin aus München, Ingeborg Blumenthal, reiste erneut nach Berlin, die Botschaft ihres Bildes zu erhalten. „Jedes Ende ist ein Neubeginn“, hatten die Künstler geschrieben, als sie im Frühjahr 1990 mit ihren Arbeiten begannen. Noch vor dem Ende, so Ursula Wünsch, hatten Künstler im Kulturbund der DDR darüber nachgedacht, die Mauer einfach zu bemalen, so wie es auf westlicher Seite praktiziert wurde. „Dann könne ich mich gleich selbst erschießen, sagten mir einige.“ Dann, im Frühjahr 1990, erfuhr sie von der Aktion der Ostberliner Werbe- und Veranstaltungsagentur Wuva, die international Künstler ansprach, die Mauerfläche zwischen Friedrichshain und Kreuzberg zu gestalten. „Viele meiner Freunde verstanden nicht, wie man an die Mauer überhaupt einen Pinselstrich verschwenden könne. Aber ich empfand regelrecht Freude, dieses Schandmal der Geschichte Berlins mit meinen Ideen zu verändern.“

Der 20. April 1990, der Tag, an dem Ursula Wünsch ihre Farben auspackte, blieb ihr jedoch aus einem anderen Grund bis heute im Gedächtnis haften. „Aus dem Auto heraus sah ich in Höhe Alexanderplatz plötzlich Menschen rennen. Ein paar kleine Vietnamesen und hinter ihnen her eine Gruppe johlender Skins. Aber was das schlimmste war, ringsherum spazierten Leute, als würde nichts geschehen. Ich habe angehalten, mich eingemischt, die Skins hätten mir fast das Auto zerschlagen. Und die Leute gingen vorüber. Unter diesem Eindruck entstand mein Mauerbild.“ Die Trennung zwischen Ost und West schien Jahre zurückzuliegen.

„Dieses Bauwerk steht unter Denkmalschutz. Wir bitten, diese Wände nicht zu beschädigen.“ Das Bezirksamt Friedrichshain hatte dieses Schild aufstellen lassen. Doch Denkmalschutz kostet. Hubert Staroste von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz erklärt, daß es sich aus rein konservatorischer Sicht um ein kompliziertes Bauwerk handele. „Viele der Künstler haben direkt an die Wände gemalt, andere haben Trägermaterial als Untergrund benutzt. Es würde zweistellige Millionenbeträge kosten, die 1,3 Kilometer zu restaurieren. Zum Vergleich: Für den Denkmalschutz stehen im gesamten Land Berlin nur 7 Millionen Mark zur Verfügung.“

Der Wettbewerb um die Gestaltung des Areals zwischen Ostbahnhof und Mühlenstraße/Stralauer Straße habe eine interessante Variante ergeben, wie Häuser gebaut werden könnten, die über die zu erhaltende Mauer ragen und sie auf diese Weise vor Witterungseinflüssen und dem Zerfall schützen würden.

Gegenwärtig sei ein kunstkritisches Gutachten in Auftrag gegeben worden, das prüfen soll, ob einige Mauersegmente punktuell entfernt und somit Durchgänge geschaffen werden können. An der historischen Bedeutung dieser Galerie sei aus seiner Sicht nichts zu deuteln. „In dieser Geschlossenheit, wenn auch nur als Bestandteil der Vorlandmauer, gibt es nichts mehr in Berlin. Niemand kann, wenn sie zerfiele, visuell noch nachvollziehen, was diesen Ort ausmachte.“

Konkret getan wird also nichts. Es kümmert weder die Jungs von den Berliner Wasserwerken, die hier derzeit Mischwasserkanalrohre austauschen, daß ihre Fahrzeuge den Blick auf Gorbatschow verstellen. Noch machen sich die Wiederhersteller der Oberbaumbrücke Gedanken, daß sie gleichzeitig etwas kaputtmachen, indem sie sich mit ihren Geräten zu breit machen. Die Galerie zerfällt in eben solchem Maße, wie in den Köpfen der Berliner das Vergessen des einstigen deutsch- deutschen Alltag voranschreitet. Doch Matthew das zu erklären vermochte ich nicht.

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