: Beelzebub im Bräustüberl
Schöner Wahlkämpfen (Teil 1): Das Gysi-Video der PDS ■ Von Martin Sonneborn
Immer auf der Höhe der Zeit, haben wir es uns zur Angelegenheit gemacht, den Bundestagswahlkampf zu beobachten. Natürlich unter besonderer Berücksichtigung der medialen Aspekte. In lockerer Folge sollen der interessierten LeserInnenschaft mit der hier eröffneten Serie Impressionen, Meinungen und Sonstiges zu diesem Thema an die Hand gegeben werden. Es klingt platt: aber noch nie war der Wahlkampf so schön wie heute.
Da hat man sich von einem zwielichtigen Secondhand-Hehler diesen hochantiken Videorecorder aufschwatzen lassen, dieses kühlschrankgroße Gerät, in dem man bequem Schuhe und Unterwäsche verstauen könnte; dessen Leuchtdioden-Anzeige das Wohnzimmer in buntes Flutlicht taucht, während seine Betriebsgeräusche an einen münzbetriebenen Autostaubsauger gemahnen. (Frau Goergen, Wirtschaftsjournalistin aus Köln, behauptet sogar, die Herstellerfirma Mitsubishi hätte ihn – geringfügig modifiziert – als 70 PS starken „Colt“, viertürig, auf den bundesdeutschen KFZ-Markt geworfen.) Aber wie schon Günther Anders festgestellt hat: die Technologie, über die der Mensch verfügt, setzt er auch ein, und so benutzt man denn in schwachen Stunden – vorzugsweise an diesen schwülen Sonntagsnachmittagen – immer öfter das Teufelsgerät.
Der absolute Renner auf Mitsubishi ist derzeit das erste Gysi-Video mit dem Titel „Beelzebub in Ingolstadt“. Denn während die etablierten Parteien mit den üblichen dumpfen Belästigungen der Vorwahlzeit aufwarten, geht die PDS neue Wege. Wer nicht in der Lage ist, seine Spitzenkandidaten bei „Zur Sache, Schätzchen“ auf Sat.1 oder in den „Rote-Strolche“- Comics der Titanic der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben, muß halt andere Möglichkeiten der politischen Propaganda finden.
Und – hier ganz in der Lassalleschen Tradition der frühen deutschen Sozialisten stehend – wertschätzt die PDS den persönlichen Auftritt ihrer politischen Führung als probates Mittel der Agitation. Da aber der publikumswirksame „Schlawiner“ (Spiegel) Gregor Gysi in seiner Rolle als Alleinunterhalter nicht überall gleichzeitig auftreten kann, vertreibt die Partei seinen gelungensten Tournee- Auftritt nun per VHS-Videokassette.
Während die übrigen Wahlkampf-Filme der PDS unter dem Deckmantel der Geschichtsaufarbeitung massive Langeweile verbreiten, ist das erste Gysi-Video sehenswert. In dem technisch unaufwendigen Mitschnitt aus der Ingolstädter Kneipe „Bräustüberl“ vom Aschermittwoch 1994 läuft der „Spassekenmacher“ (Majestix) zu gewohnter Form auf; in seinem „Ingolstädter Manifest“ kann er beweisen, daß er sich vor der Konkurrenz – mag sie nun Martin Buchholz, Thomas Freitag oder Peter Hintze heißen – keineswegs zu verstecken braucht.
Schwächen hat er allerdings noch im Bereich abstrakt-sinnvakanter Politik-Rhetorik. Bei den einfachsten Sätzen aus dem parteiübergreifenden Basis-Phrasenschatz – wie etwa: „Der Nord-Süd- Konflikt ist eine politische, eine ökonomische, eine soziale, eine kulturelle, eine zivilisatorische Herausforderung, und ich glaube, ihr kann deshalb auch nur politisch, ökonomisch, sozial, kulturell und zivilisatorisch begegnet werden!“ – erscheint immer noch ein ungläubiges Staunen auf Gysis Gesicht. Und das, wo doch heutzutage noch der jüngste RCDS-Azubi derartige Standardfloskeln auf jede beliebige Frage nach Asylgesetzgebung oder Tempolimit eloquent herunterrattern kann. Während seine Kollegen eben in der Lage sind, derart geäußertes auch spontan zu glauben, wundert sich „Herr Gysi“ (Spiegel) augenscheinlich immer noch, mit welch einem Vakuum an Sinn und Substanz man hierzulande seine Reden schmücken darf, ohne darob verlacht zu werden.
So liegt denn auch seine Stärke mehr in den Bundestags-Anekdoten und im kokettierenden Ausplaudern der kleinen offenen Geheimnisse, die seinen konservativen Kollegen niemals über die Lippen kämen: „Von zehn Gesetzen, über die ich mitentscheide, verstehe ich von dreien etwas, und die Quote gilt als hoch.“ Oder: „Es stimmt nicht, daß wir zwei Jahre verzichtet haben auf eine Diätenerhöhung. Wir haben uns im letzten Jahr sehr wohl noch rückwirkend die Diäten erhöht, wir haben nur jetzt im Januar 94 wegen des Wahljahres darauf verzichtet; aber ich kenne uns, und ich garantiere Ihnen: Im Januar 95 stellen wir fest, daß wir derart gedarbt haben in diesem Jahr, daß wir kräftig nachholen werden ...“
Gregor Gysi ist ein Entertainer, der im Bundestag seinesgleichen sucht. Wer nicht den Fehler macht, Politiker ernster zu nehmen, als der große deutsche Philosoph Helge Schneider („Die Herren Politiker sind alle, alle doof, die soll'n sich ersma waschen, bevor die was entscheiden ..., ersma ein' durchziehen ...“), dem dürfte das Video vergnügliche Stunden bereiten.
Und auch wenn das bedeutendste politische Argument im „Ingolstädter Manifest“ lautet, man solle die PDS wählen, weil der Kanzler und die etablierten Parteien sich darüber am meisten ärgern, man kann darüber nachdenken. Eben darum. Oder, mit Gysis Worten: „Unser aller Kanzler sagt: ,94 will ich es auf jeden Fall noch mal wissen‘; helfen Sie mit, daß er es auch erfährt!“
Die VHS-Videokassette „Beelzebub in Ingolstadt“ ist für 25 Mark zu beziehen beim zentralen Wahlbüro der PDS, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin
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