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„Ein Mensch muß doch was machen“

Flüchtlinge aus Togo und Jugendliche aus Rußland, Lettland und Bosnien legen zwei Wochen lang ehrenamtlich Fundamente nahe dem ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen frei  ■ Aus Oranienburg Thorsten Schmitz

Die Mittagspause haben sie sich verdient. Seit morgens früh um acht buddeln die 16 Leute im staubtrockenen märkischen Sand, östlich des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Mit Spaten und Harken legen sie vorsichtig Fundamente frei von früheren Baracken, in denen bis 1945 die prominentesten Häftlinge eingepfercht waren. Die 16 Leute – die jüngste 17, der älteste 40 Jahre alt – kommen aus Tschechien, Weißrußland, Togo, Bosnien, Lettland, Deutschland.

In kleinen Gruppen liegen und sitzen die zwei Frauen und 14 Männer im Schatten eines Baumes, essen Käsebrötchen, hören Walkman. Das friedliche Stilleben stört allein ein Polizeiwagen, der jede Viertelstunde entlang der Gedenkstätte patrouilliert. Die Beamten observieren das ehemalige Konzentrationslager, und sie passen auf, daß niemand der multikulturellen Buddlergruppe etwas antut. Unweit der Gedenkstätte, am Lehnitzer Strand, heißt es, kampierten „merkwürdige Gestalten“. Soll heißen: Skins. Schon am ersten Tag hat man den 16 geraten, niemals alleine rumzulaufen, schon gar nicht die Männer aus Togo.

Die ehrenamtlichen Hobby-Archäologen sind für zwei Wochen ein festes Team. Tagsüber arbeiten sie – übrigens zur großen Freude der Gedenkstätten-Mitarbeiter, denn im Etat für Sachsenhausen ist kein Geld drin für professionelle Fundament-Freileger. Und abends absolvieren sie ein Programm, das die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, Almuth Berger, gemeinsam mit der Aktion Sühnezeichen ausgetüftelt hat. Es beinhaltet Gespräche mit dem Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Günter Morsch, mit Überlebenden und Widerstandskämpfern. Am meisten aber, behaupten die Organisatoren, rede die Gruppe über Rassismus und Gewalt. Damit, so die Sühnezeichen-Aktivisten im Betroffenheitsjargon, solle ein „Zeichen gegen die Gewalt“ gesetzt werden.

Tatsächlich buddelt jeder von den 16 aus einem anderen Grund. Dem 25jährigen Adenou Afanly etwa sind „Nazis“ völlig egal. Die zwei Wochen in Oranienburg sind dem Schwarzafrikaner aus Togos Hauptstadt Lomé eine höchst willkommene Abwechslung vom stumpfsinnigen Flüchtlingsalltag. Afanly wohnt seit zwei Monaten im brandenburgischen Neuruppin. Sein Tag besteht darin: „Schlafen und essen, essen und schlafen.“ Er würde gerne arbeiten, aber das ist ihm untersagt. Er würde gerne Leute kennenlernen, aber für Neuruppiner sind Afrikaner schwarze Marsmenschen.

Als Fundament-Archivar fühlt Afanly sich „gebraucht“. Ein Mensch „muß doch was machen“, sagt er. Und außerdem kennt er jetzt Russen. Und eine Deutsche. Und einen Polen: „Das Internationale gefällt mir.“

Ihr Bild von den Deutschen revidieren mußten Oleg Protsyk, 24, Andrew Shevchuk, 25, und Inga Rakova, 19. Oleg kommt aus einer Kleinstadt in Weißrußland, Andrew und Inga aus Kiew. Deutschland haben sie sich „so“ nicht vorgestellt: „Deutschland ist gar nicht so entwickelt, wie uns das beigebracht wurde“, hat Andrew konstatieren müssen. „Sieht alles aus wie Sowjet-Block“, pflichtet ihm Oleg bei. Die Deutschen charakterisiert Inga als „praktisch“, „rational“, „nicht so sensibel“. Die fünf Männer aus Togo dagegen findet sie ganz wunderbar: „Die sind lustig und können wenigstens lachen.“ In Kiew hätte sie nie die Möglichkeit, mit Afrikanern zu reden. Es interessiert die drei, wie Deutschland versucht zusammenzuwachsen. Und ob das überhaupt geht: „Ich kann mir vorstellen, wie schwierig das ist“, sagt Inga.

Die Mittagspause findet ein abruptes Ende, alle 16 stehen auf, klopfen sich den Staub aus den Kleidern. Brandenburgs bekannteste Lautsprecherin und Stolpe- Freundin, Sozialministerin Regine Hildebrandt, kommt in der brütenden Hitze vorbeigeschneit, setzt sich auf einen Klappstuhl, ihr zu Füßen im Halbrund die 16 Schaufler. Glücklicherweise verstehen sie immer nur die Hälfte von dem Schwall, der sich über sie ergießt. Es ist eine Mischung aus SPD- Wahlkampfblabla und instinktloser Propaganda. Hildebrandt bittet die jungen Frauen und Männer aus Afrika und Rußland um Verständnis für Deutschlands rigide Asylgesetzgebung: „Wir können das Elend der Welt hier in Deutschland nicht erledigen“, fleht sie. „So viele“ Ausländer wie in Rostock- Lichtenhagen, konzentriert auf einen Platz, inmitten von Wohnblocks: „Das können wir den Menschen nicht vermitteln.“ Alle schweigen betreten, Hildebrandt drischt weiter Rep-Phrasen: „Allein 6.000 Flüchtlinge haben 1993 in Brandenburg mehr als einmal Asylhilfe beantragt. Und wenn man besonders pfiffig ist, kann man achtmal Sozialhilfe einstreichen.“

Hildebrandt beendet ihre Rede: „Man muß auch kritische Worte gegen Ausländer sagen dürfen.“ Eine Rede, um die sie niemand gebeten hat.

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