■ Das Fantasy-Filmfest, mit einem erschröcklichen Paket von Horror-, Science-fiction- und Action-Filmen, geht zum achten Mal auf Deutschlandtournee.: Freddy Krueger ist wieder da!
Freddy Krueger ist wieder da!
Wie die Unwetter zu Himmelfahrt zieht alljährlich im Sommer das Fantasy- Filmfest über die Republik, von München über Berlin nach Frankfurt, wo es zur Zeit läuft, später Hamburg und schließlich Köln. So erfolgreich wie in diesem Jahr ist das acht Jahre alte Festival noch nie gewesen; wo man früher mit so 2.000 bis 3.000 Besuchern herumkrebste, kommen heute 65.000 bis 70.000.
„Fantasy“ umfaßt offiziell alles von „Jurassic Park“ über Hongkong-Filme und Vampirella-Erotic bis zum „Kettensägenmassaker“. Faktisch geht es aber bei dem Filmfest-Paket von etwa 30 Filmen in der Hauptsache um Action- und Splatterfilme. Splatter, der glitschige Bastard des Horrorkinos, hatte, wenngleich noch immer heftig bekämpft, seinen Abgesang letztes Jahr eigentlich schon mit dem bezeichnenden Titel „Braindead“ gesungen (ein Muttersöhnchen geht mit Mutter in den Zoo, welche dort von einem gefährlichen Zohani-Affen gebissen wird und fürderhin Tausende von Eiterbeulen, Embryonen und Glubschaugen an dafür nicht vorgesehenen Stellen entwickelt, vor sich hin suppt und Beile schwingt).
Aber wie die Untoten, die ihn bevölkern, muß auch der Splatterfilm immer weitermachen; schon allein der Mitternachtsgemeinde zuliebe, die sich über und durch ihn zusammenfindet: In Splatting Image, ihrem deutschen Fanzine, gibt es eine Rubrik, die „Schnittparade“ heißt und in der mit exakter Sekundenzahl angegeben wird, was aus welchem Film geschnitten wurde. Dabei kommt es zu recht interessanten Vergleichen: „Was von ,Bullet in the Head‘ übriggeblieben ist, das erinnert fatal an alte Fotos von ausgemergelten Kriegsgefangenen, bei denen die Rippen durch die leichenblasse Haut durchscheinen. Daß man ganze Handlungsteile eliminiert, knüpft schon fast an eine gewisse Endlösung an. Kommt irgend jemand auf die Idee und geht nach Paris, um der Mona Lisa ihr dreckiges Grinsen aus dem Gesicht zu radieren?“ Die Fans treten in Kontakt, wenn sich einer die holländische, ein anderer die japanische und noch einer die türkische Schnittfassung eines Films besorgt hat – dann wird abgeglichen, weil die Zensoren in der Türkei mehr der Sex, die in Holland mehr die Brutalität stört.
Wie die Protagonisten der Filme besteht die Splatter-Gemeinde zum großen Teil aus Teenagern, denen es zupaß kommt, daß sich das Gemetzel nicht, wie im klassischen Horrorfilm, im Hause Usher, sondern im eigenen Hause ereignet: In den Eltern-Stiefeltern- Kinder-Massakern sind die Opfer vorzugsweise Pubertierende, die kurz vor dem schreckenumwobenen ersten Mal stehen, dem sie auf diese Weise mehr oder weniger elegant auf immer entkommen. „Unsere klassischen Horrorfans“, sagt ein Videostore-Verkäufer, „sehen aus wie Computerfreaks, überhaupt nicht gruftig, sondern eben ein bißchen blaß, kontaktscheu, normal halt.“ Manche der Apologeten argumentieren, auf merkwürdige Weise dann doch wieder bei der E-Kultur um Vergebung bettelnd, mit Hieronimus Bosch und Grand Guignol, dem blutigen Kaspar mit seinen bösen, antibourgeoisen Streichen; oder auch damit, der Splatterfilm zeige schließlich nur „ehrlich“, was sich eh in der Familie ereigne – ein Argument, das der Porno-Industrie nicht unbekannt ist.
Wie dem auch sei: Auf dem Fantasy-Filmfest in diesem Jahr hat das Genre sich am eigenen Schopf wieder aus dem Sumpf gezogen: Wes Craven, Altmeister mit wechselndem Glück, schloß in „Wes Cravens New Nightmare: The True Story“ wieder an die Geschichte aus dem „Nightmare on Elm Street“ an, die ihn und seinen Zombie-Mann Freddy Krueger mit den schneidenden Stahlkrallen berühmt gemacht hat (Krueger- Masken, -Poster und -Handschuhe kann man bestellen). Seine damalige Teenage-Heldin Heather Langencamp hat inzwischen ein Kind. Craven bittet sie, nachdem er einige „Alpträume“ hatte, wieder mitzuspielen, diesmal allerdings, um Freddie, der nun ihren Sohn heimsucht und über ihn zu Gott gelangen will, endgültig zu exorzieren: So erklärt sich der Splatterfilm recht mopsig für unentbehrlich, unaufhaltsam. Indem Heather das Drehbuch in die Hand nimmt, ist sie schon drin. „This is your life“ steht auf der letzten Seite...
Ebenso von der eigenen Machtfülle begeistert ist John Carpenters „In the Mouth of Madness“, der beschreibt, wie heute Amerika und morgen die ganze Welt von den Horrorbüchern eines Autors abhängig wird, gegen den Stephen King ein Jammerlappen ist. Die Leute werden nach der Lektüre der Bücher wunderlich, Kinder vergreisen, metzeln ihre Eltern hin, und von der Kirchenpforte tropft Blut.
Natürlich wird stets und ständig die Ahnengalerie geplündert; Splatterfans jaulen auf vor Freude, wenn sie die Referenzen an die Folgen I und II erkennen; oder wenn im Splatterfilm die benachbarten U-Genres verarscht werden, ein Schwarzenegger-Spruch fällt oder eine Bemerkung über H.P. Lovecraft. Sicher wird man in Zukunft mehr solcher Crossovers erleben; immerhin schaffen es ja mehr und mehr von den „Dark Stars“, wie sich die Regisseure selbst gern nennen, international zu Ruhm und Ehre zu kommen: Carpenter, Craven, Romero, Agento sind nur einige Beispiele.
Größter Beliebtheit erfreuen sich die Enkel von „Bonnie and Clyde“, die „True Romance“ oder, wie jetzt während des Fantasy-Festes, „Love and a 45“ heißen, und in denen Kinder der Sixties-Eltern sich ihren Weg zur Kleinfamilie freischießen müssen. Peter Fonda tritt noch einmal auf als sein eigener Airbag, aufgedunsen und stumm – die Sixties mit ihren traubenhafteren Lebensformen haben diesen jungen Paaren nichts mehr zu sagen.
Der interessanteste Film der ganzen Woche war womöglich der dänische Film „Nachtwache“, in dem es um einen jungen Herrn Martin geht, der eine Pathologie bewachen soll und kurz vor der Hochzeit steht. Wenn man eine Woche lang Bäuche platzen und gute Bekannte zerfließen sieht, kann einen nicht mehr viel bedrücken, aber als Martins Freund in der Kirche aus der Hand seiner priesterlichen Freundin die Sakramente empfangen sollte, war es mit meiner Contenance zu Ende: Brot von Jesu Leib, Blut von Jesu Blut – ist das nicht, wie Horror im Film funktioniert, das reinigende „make believe“?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen