: Der Dadasoph
„Der deutsche Spießer ärgert sich“ – eine Retrospektive zu Leben und Werk Raoul Hausmanns im Berliner Martin-Gropius-Bau ■ Von Brigitte Werneburg
Er trug Monokel. Dieses vergrößerte Auge hinterließ eine deutliche Spur im künstlerischen Werk seiner zeitweiligen Lebensgefährtin Hannah Höch, hinter dessen Aura der Aktualität das seine seit längerem merkwürdig verblaßt und vergessen scheint, sieht man von einer kleinen Gruppe Hausmann-Spezialisten ab. Er war ein Tänzer. Auch daran scheiterte sein künstlerisches Nachleben. Tänze lassen sich schlecht archivieren. Seine Lautgedichte immerhin trug er noch in den sechziger Jahren vor, sie sind deshalb auf Tonkassetten konserviert. Zeit seines Lebens war er nie ein professioneller Künstler im strengen Sinn; er hatte keinen Galeristen, seine Werke wurden kaum gehandelt. Er war ein Bohemien und lebte auf Kosten der jeweiligen Lebensgefährtinnen und Freundinnen. Frauen kannte er nur in der Mehrzahl. Er litt an der notorischen Männerkrankheit, sie zu prügeln, wie man im Falle Hannah Höch weiß. Gleichzeitig formulierte er programmatisch, daß allem Übel dieser Welt die Unterdrückung der Frau durch den Mann zugrunde läge. Er war der intellektuelle Anreger einer ganzen Generation, der Berliner „Dadasoph“ im Kreis von Huelsenbeck, Franz Jung, Oberdada Johannes Baader, George Grosz, Hannah Höch, John Heartfield und Bruder Wieland Herzfelde.
Ich bin ein schrecklicher Mann
Obwohl er die Erfindung der Fotomontage im Jahr 1918 immer für sich reklamiert hatte, interessierte er sich erst ab 1927 ernsthaft für die Fotografie. 1967 sagte Raoul Hausmann, „ich war kein Fotograf“ und resümierte: „Ich bin ein ,homme terrible‘ – ein schrecklicher Mann.“ Diesen furchtbaren Mann und zeitweise außerordentlich fruchtbaren Künstler stellt nun die Berlinische Galerie in einer 300 Exponate umfassenden Werkschau vor. Die Idee dazu wurde in Spanien entwickelt. Aufgrund noch heute kursierender Anekdoten ging der Kurator des Ivam Centre Julio González in Valencia, Bartomeu Mari, Hausmanns Aufenthalt in Ibiza von 1933 bis 1936 nach, wohin sich der als kulturbolschewistisch verfemte Künstler geflüchtet hatte. Nach einer Station im Musée d'Art Moderne Saint- Etienne – Hausmann lebte nach kurzen Aufenthalten in Zürich, Prag, Paris und seinem illegalen Unterschlupf in Peyrat-le-ChÛteau bis zu seinem Tod 1971 in Limoges – ist die Schau nun in Berlin noch einmal erweitert worden. Dies dank eines Nachlasses, um den vor zwei Jahren ein noch heute erinnerlicher Streit entbrannte. Merkwürdigerweise hatte Hausmann, der nach dem Zweiten Weltkrieg mit allen und jedem über seine Rolle bei Dada Berlin im Disput war, zur gleichen Zeit seine dort lebende Tochter vergessen. Bei ihr lagen allerdings eine Vielzahl von Dokumenten, die seinem Verlangen nach adäquater Würdigung hilfreich gewesen wären. Umgekehrt hatte auch seine Tochter ihn vergessen; zumindest das Konvolut an Gemälden, Fotografien, Briefen und Dada-Dokumenten, die in ihrer Wohnung vor sich hin rotteten. Jedenfalls versuchte sie nie, die Sachen für teures Geld an die richtigen Stellen zu verkaufen und verweigerte sich offenbar jedem Gespräch. Es war nicht zu ihrem Nutzen, aber Hausmann der Künstler gewann ebenfalls nicht.
Mit der Schau, die nun umlaufend auf der Galerie im ersten Stock des Berliner Martin-Gropius-Baus aufgebaut wurde, stehen seine Chancen auf die ersehnte Würdigung und das rege Interesse der Öffentlichkeit sehr gut. Farbig gehaltene Stellwände unterscheiden vier verschiedene Schaffensphasen, sein Frühwerk, Dada Berlin, sein stadtfernes fotografisches Werk und das in Limoges entstandene Spätwerk.
In seinen Anfängen ist Hausmann, 1886 als Sohn eines akademischen Malers in Wien geboren, ein begabter, wenngleich epigonal experimentierender Künstler, der sich zunächst expressionistisch zeigt, wie unter anderem vier Aktstudien von Hannah Höch belegen, mit der er von 1915 bis 1922 zusammenlebt. Kubistische bis konstruktivistische Momente prägen seine Arbeiten bis 1918. In seine „Abstrakte Bildidee“ aus diesem Jahr klebt er Zeitungsausschnitte – eines mit „Movement Dada“ überdruckt – ein. Hier scheint er Picasso noch näher als den durch Typographie charakterisierten Dada-Collagen, wie sie etwa seine „Schriftkonstruktion aus dem Dadaco“ 1919 repräsentiert. 1918 entstehen aber auch die Laut- und Plakatgedichte „OFFEAH“ und „fmsbw“, bestehend aus großen hintereinandergereihten Holzdruckstock-Lettern, die der Setzer angeblich zufällig herausgesucht hatte. Und 1918 ist das Jahr der Erfindung der Fotomontage. „Dieser Name entstand dank unserer (Hausmann, Grosz, Heartfield, Baader, Höch) Abneigung, Künstler zu spielen, wir betrachteten uns als Ingenieure (daher unsere Vorliebe für Arbeitsanzüge), wir behaupteten, unsere Arbeiten zu konstruieren, zu montieren.“ Was Hausmann montiert – und hier legt die Ausstellung in ihrem Überblick über den ganzen Hausmann eine durchgängige Spur offen – ist eigentlich ein Thema, eine denkwürdige Physiognomik des Auges und Mundes. Der Lärm und das Lachen Dadas, welche das visuell Auf-Distanz-zur-umgebenden-Wirklichkeit-Gehen der Kunst lauthals, mit aufgerissenem Mund, verhöhnten, erweitert Hausmann zum Konzept der Optophonetik. Der Uterus-Längsschnitt in der Collage „Dada im gewöhnlichen Leben“ 1920 oder die prallen Autoreifen in „Elasticum“ 1920, Fotografien wie „Auge im Vergrößerungsspiegel“ 1931, Fotomontagen wie „L'acteur“ 1946, oder späte Collagen wie „Dada Raoul“, 1951 und „Oaoa“, 1965, in denen Augen und aggressiv gezeigte Zahnreihen zusammengeschaltet sind, sind alle in einem Grenzbereich zwischen Hör- und Sehraum angesiedelt, den auch die mit Buchstaben besetzte Schreibmaschinenwalze am Ohr des Holzmannequins in der Assemblage „Der Geist unserer Zeit“, die das Musée National d'Art Moderne in Paris nach Berlin auslieh, symbolisiert.
Ein ethnographisch neugieriger Blick
1920, mit der „Großen Internationalen Dada Messe“, war die Anti- Kunst-Bewegung, „das Streitroß DADA“, so Raoul Hausmann, „müde“. In den postdadaistischen Jahren veröffentlicht er in verschiedenen avantgardistischen Kunstzeitschriften programmatische Texte, er nimmt an verschiedenen Kunstausstellungen und Kongressen teil, befreundet sich mit Schwitters und heiratet die Bankierstochter Hedwig Mankiewitz. 1927 lernt er Vera Broido kennen, die ihn mit seiner Frau ins Exil nach Ibiza begleitet, und er beginnt zu fotografieren. Diese Fotografien zeigen neben bekannten Aufnahmen, die in der Hausmann- Monographie von Andreas Haus zu finden sind, Kamerafotografie 1927-1957, auch einen guten Teil unbekannter Landschafts- und Architekturfotografien, zunächst auf Sylt, später auf Ibiza entstanden. Diese Hafer-, Schilfgras-, Distel- und Dünenfotografien sind in ihrer Qualität aber durchaus mäßig. Sie sind interessant in Hinblick auf
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seine Person. Deutlich werden sein ethnographisch neugieriger Blick, seine antiurbane Haltung, eine deutliche Abkehr von der avantgardistischen Neuerung und der visuellen Provokation sowie eine Hinwendung zur visuellen Meditation; allerdings auch eine gewisse epigonale Haltung. Jean- François Chevrier trickst sich im Katalog etwas über diesen Punkt hinweg. Er würdigt Hausmanns Fotografien, indem er sie den Arbeiten anderer bekannter Fotografen der zwanziger und dreißiger Jahre wie Renger-Patsch, Sander, Lerski, Edward Weston oder Werner Mantz gegenüberstellt, wobei er deren Positionen so scharf faßt, daß schon die Anmerkung, Hausmann habe nicht so effektvoll, formalistisch oder monumental gearbeitet, diesem scheinbar eine kritische, eigenständige Ästhetik zuschreibt.
Im Fortgang der Ausstellung gelangt man aus der grauen Zone der Fotografie in die blaue Zone des Spätwerks. In der ausstellungstechnischen Neuerung der Hausmann-Schau, einer kleinen Besucherbroschüre, die die Werkangaben enthält und somit die Schilder ersetzt, die sonst neben den Exponaten kleben, ist jeder Abteilung ein Motto zugedacht. „Außer mir war niemand Dada“ benennt die Jahre 1945 bis 1971. Und tatsächlich zeigt Hausmann mit „Pinaltries“, 1965, „Dada Raoul“, 1951 oder „Oaoa“, 1965 einen modernisierten Dada, der ziemlich lebendig auftritt und souverän, mit wenigen Mitteln den Zeitgeist der fünfziger und sechziger Jahre in die Collagen hineinmalt und -zeichnet. Hausmann besinnt sich wieder zurück auf seine Physiognomik des Auges und Mundes, der Optophonetik wie die auf Chinapapier getuschten Lautgedichte „k'perioum“, 1945 und „pitsu“, 1946 zeigen. Mit Hilfe von Kopfhörern kann sich der Besucher in „Das Chaos in der Mundhöhle“, das Christopher Phillips im Katalog anhand der Lautgedichte aufschlußreich analysiert, vorwagen. Auch wenn es „eigenartig, rätselhaft, ja fast etwas lächerlich anmutet, sich den „Dadasophen“ dreißig Jahre lang in Limoges, in der tiefsten französischen Provinz, vorzustellen, wo er in der „örtlichen Fotogalerie ausstellt und Lautgedichte vorträgt“ (Yves Michaud), sollte man sich diese nicht entgehen lassen.
Denn hier erfährt man Hausmann fast schockhaft unmittelbar, und der intellektuelle Provokateur, der Tänzer, der Mann, der sich auf Fotos als Dress- beziehungsweise Undressman inszeniert, Hosen entwirft und die Hemden „weit und blusenartig“ schneidern läßt, der exzentrische Dandy, der Erotiker, der sich in der Vielzahl seiner Posen und künstlerischen Aufgabenstellungen zu verflüchtigen scheint, wird hier als der unversöhnte, radikale Anarchist deutlich, als welcher er die Avantgarde der zwanziger Jahre unmittelbar und nachhaltig beeinflußte.
„Der deutsche Spießer ärgert sich. Retrospektive Raoul Hausmann 1886-1971“. Bis 12. Oktober, Martin-Gropius-Bau, Katalog 38 Mark
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