■ Überschüssiger Bombenstoff sucht sich seinen Markt: Der Schreck in den Gliedern
Das Wetterleuchten kommt näher, mit erkennbar wachsender Geschwindigkeit. Vorbei die Zeiten, als naive Kleinkriminelle aus dem Osten alles Richtung Westen verschoben, was den Zeiger eines Geigerzählers ausschlagen ließ – und dabei vor allem sich selbst in Gefahr brachten. Das Nuklearia-Angebot gewinnt an Qualität. Für Zwischenhändler winken Millionenprofite, für kriminelle oder terroristische Banden Erpressungspotentiale von ganz neuer Qualität, schließlich für Potentaten mit nuklearen Ambitionen kürzere Wege zur eigenen Bombe.
Der Warenprobe folgt die Lieferung, wie im richtigen Geschäftsleben. Sie reicht noch nicht für die Atombombe, wohl aber für Erpressung: Zum Beispiel für die Drohung, Trinkwasserreservoirs zu verseuchen. Und wer, außer Staatsminister Bernd Schmidbauer, glaubt schon, daß der jetzt aufgedeckte illegale Plutoniumhandel weltweit auch der erste war? Es trägt ja nicht gerade zur Beruhigung bei, daß die Kuriere Linienflüge benutzen. Solche Chuzpe deutet an, daß sie sich sicher fühlen. Aus Erfahrung?
Das Ende des Kalten Krieges haben alle herbeigesehnt. Es läßt die Menschen zueinanderkommen, und auch die Stoffe. Der zuvor mit höchstem Aufwand geschlossene Kreislauf hochsensibler Güter und Geheimnisträger hat plötzlich lauter offene Enden. Tausende von Atomwaffen werden demontiert. Ihre Konstrukteure verlieren ihren Beruf, manche von ihnen auch das, was sie für ihre Berufung halten. Zurück bleibt ein ungeheures Angebot an atomarer Hard- und Software. Das Angebot sucht sich die Nachfrage. Zum Beispiel in Landshut oder München.
Jetzt ist guter Rat teuer, möglicherweise gar nicht zu haben. Wahlkampfgeübte Politniks bedienen die Reflexe ihrer vermeintlichen Klientel: Kampf der Organisierten Kriminalität hier und in Moskau, Krisenstäbe, härtere Strafen, Grenzen schließen, das ganze elende, Tatkraft vorgaukelnde Arsenal. Aber was kann tatsächlich angesichts der unfriedlichen Ergebnisse der Abrüstung getan werden?
Eine Verbesserung des physischen Schutzes der Atombombenarsenale im Osten – aber auch im Westen – braucht Zeit und Geld, ebenso der Aufbau effektiver nationaler und internationaler Inspektionssysteme. Beides setzt außerdem Vertrauen voraus und insbesondere in Rußland das Eingeständnis, daß die Sache tatsächlich aus dem Ruder läuft. Aber die einzige Reaktion des verantwortlichen russischen Ministers auf die Beschlagnahmeaktion bestand in dem Satz: „Uns fehlt kein Plutonium.“
Aktuelle Patentrezepte gibt es nicht. Vielleicht jedoch fährt der Schreck über das bevorstehende endgültige Scheitern des internationalen Nicht-Weiterverbreitungssystems doch manchem der Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft in die Glieder – und leitet die Kehrtwende ein. Hunderte von Tonnen Plutonium und bombentauglichem Uran liegen in Ost und West nutzlos (aber deshalb nicht notwendigerweise auf ewig ungenutzt) in den Waffenarsenalen und zivilen Wiederaufarbeitungsanlagen. Gleichzeitig wird weiter auf Teufel komm raus auf Halde produziert. Statt alle Kräfte auf die Menschheitsfrage zu konzentrieren, wie die Menge dieser Stoffe reduziert und schließlich unschädlich gemacht werden kann.
Das Atomzeitalter, das vor einem halben Jahrhundert mit soviel Leid und Hoffnungen auf die Welt kam, stößt endgültig an seine Grenzen. Der Traum von der „nuclear free world“ ist noch nicht ausgeträumt. Er muß aktualisiert werden. Das Wetterleuchten dieser Tage führt flackernd die Alternative vor Augen: eine weltweite Freihandelszone, auch für Atombomben. Gerd Rosenkranz
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