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Der Justiz geht es längst nicht nur um Carlos

■ Sein „Stellvertreter“ Johannes Weinrich war mit ihm in Syrien – und jetzt?

Der Vorsitzende Richter der 29. Großen Strafkammer am Berliner Landgericht, Wolfgang Hüller, ist eigentlich ein ruhiger Mensch. Am 11. April diesen Jahres, bei der Begründung seines Urteils gegen den früheren Stasi-Offizier Helmut Voigt, war ihm der Ärger deutlich anzumerken. Der Skandal, betonte er, sei nicht nur, wie eng die Ostblockländer, und in diesem Fall die Staatssicherheit der DDR, Anfang der achtziger Jahre mit den Terroristen der „Carlos-Gruppe“ kooperiert haben. „Unerträglich“ nannte er es, daß mit dem MfS- Mitarbeiter Voigt lediglich ein Gehilfe des Sprengstoffanschlages auf die französische Kultureinrichtung „Maison de France“ in Berlin am 25. August 1983 abgeurteilt werden konnte. Und das, obwohl der wahre Drahtzieher des Anschlages, der den 29jährigen Maler Michael Haritz das Leben kostete und 23 Menschen zum Teil schwer verletzte, allen wohlbekannt ist.

Daß das frühere Mitglied der „Revolutionären Zellen“ und engste Vertrauter von Carlos, Johannes Weinrich, trotz mehrfacher Auslieferungsersuchen der Bundesrepublik „frei und unbehelligt in Syrien rumläuft“ und nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, das sei „einer der Skandale, die hier offenbar geworden sind“ – ein deutlicher Fingerzeig Richtung Auswärtiges Amt. Es sei an der Zeit, endlich gegenüber Syrien „international Druck zu machen“.

Die Spuren von Carlos wurden in den letzten Jahren in der syrischen Hauptstadt Damaskus geortet. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Magdalena Kopp (45), seiner Tochter und Johannes Weinrich konnte er sich unter dem Schutz der syrischen Behörde unbehelligt bewegen. Carlos schlüpfte in die Rolle eines mexikanischen Kaufmanns mit dem Namen Michel Asaf, Weinrich spielte den Exil-Österreicher Peter Schmidt. Vom Luftwaffen-Geheimdienst der Syrer angeheuert, betreute er den Fahrzeugpark der Geheimdienstler.

Ende 1991 endete nach Informationen des „Informationsdienst Terrorismus, Extremismus, Organisierte Kriminalität“ das nahöstliche Idyll. Carlos, Kopp, die Tochter und zwei Leibwächter wurden von den syrischen Behörden dringend gebeten, das Land zu verlassen. Der internationale Druck sei so stark, daß die Gruppe in Syrien nicht mehr versteckt werden könne. Zu sechst, berichtet der Informationsdienst, sei die Gruppe dann mit einem Koffer voller Dollar, Schmuck und reichlich Waffen von Damaskus nach Libyen geflogen. Den libyschen Behörden kam die Carlos-Mannschaft aber höchst ungelegen – Tripolis sah sich gerade selber wegen des Attentats auf einen Jumbojet über dem britischen Lockerbie schwersten Anschuldigungen ausgesetzt.

Die kleine Gruppe heimatloser Terroristen wurde von Libyen nur wenige Stunden nach ihrer Ankunft an den Ausgangsort ihrer Reise zurückgeschickt. Auch der Jemen weigerte sich in der Folge, Carlos & Co aufzunehmen. Der jemenitische Diplomatenpaß, mit dem Carlos zu dieser Zeit reiste, konnte daran nichts ändern.

Abgesetzt hatte sich in diesem September 1991 auch der Carlos- Stellvertreter Johannes Weinrich. Anschließend sollen den deutschen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse aus dem Jemen und Griechenland über den Aufenthaltsort „Steve Weinrichs“ vorgelegen haben. Wolfgang Gast

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