■ Seit zwei Jahrzehnten wurde er gesucht, jetzt ist er im Sudan gefaßt worden und sitzt in Paris im Gefängnis: Der gebürtige Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez, besser bekannt als "Carlos".
: Vom Phantom zum Häftling

Seit zwei Jahrzehnten wurde er gesucht, jetzt ist er im Sudan gefaßt worden und sitzt in Paris im Gefängnis: Der gebürtige Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez, besser bekannt als „Carlos“.

Vom Phantom zum Häftling

Eines zumindest steht seit gestern fest: „Topterrorist“ Carlos existiert wirklich. Einem Phantom gleich, entzog er sich immer wieder seinen Verfolgern und verschwand irgendwo zwischen Belgrad und Damaskus. Das und die Spur der Anschläge, die Carlos hinter sich herzog, führten zu Spekulationen, ob sich hinter diesem Namen nicht eine Organisation verberge, oder, ob Carlos in Wirklichkeit nicht längst getötet worden sei und mehrere Personen unter seinem Namen auftreten. Nun, seit gestern, sitzt der 44jährige Ilich Ramirez Sanchez, wie Carlos mit richtigem Namen heißt, in persona in einem französischen Gefängnis.

Carlos wurde am 12. Oktober 1949 in Venezuela geboren. Sein Vorname verweist auf seinen familiären politischen Hintergrund: der Vater, ein wohlhabender Rechtsanwalt und Immobilienmakler, taufte seine drei Söhne nach dem russischen Revolutionär Wladimir, Ilich (Iljitsch) und Lenin. Der junge Ilich schloß sich im Jahre 1964 dem kommunistischen Jugendverband an, bis die Familie 1966 nach London zog, wo die Söhne mit ihrer Mutter lebten, denn die Eltern hatten sich inzwischen getrennt. 1968 nahm Ilich zusammen mit seinem Bruder Lenin ein Studium an der Moskauer Lumumba-Universität auf.

Wie der britische Journalist Colin Smith beschreibt, mißfiel den Brüdern das geregelte Leben in Moskau. Dank großzügiger Schecks ihres Vaters hatten sie keinen Mangel an Freundinnen, der Alkohol floß reichlich. Erste Probleme mit den Behörden bekam Ilich, als er im Rahmen einer studentischen Protestaktion vorübergehend festgenommen und verwarnt wurde. Doch 1970 hatten die russischen Funktionäre die Nase voll von dem jungen Lebemann, der wenig Neigung zeigte, an abendlichen Politkursen teilzunehmen, und verwiesen ihn von der Universität. Ilichs Moskauer Tage waren beendet.

An der Lumumba-Universität hatte der Relegierte jedoch eine ganze Reihe von Kontakten geknüpft, die für sein weiteres Leben entscheidend sein sollten. Er war viel mit palästinensischen Studenten zusammen; kurz nach der arabischen Niederlage von 1967 standen bei den radikaleren unter ihnen Guerillaaktionen gegen Israel hoch im Kurs. Dazu zählte auch die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habasch und das „Spezialkommando“ (PFLP/SC) von Wadi Haddad. So nahm Ilich eine Einladung eines palästinensischen Kommilitonen und Mitglieds der PFLP an, im Sommer an einem Ausbildungslager in Jordanien teilzunehmen. Angesichts des sich abzeichnenden Konflikts zwischen den palästinensischen Guerillaverbänden und der jordanischen Armee, der im Herbst des gleichen Jahres in den „blutigen September“ mündete, wurde das Lager geschlossen. Ilich ging in den Libanon und kehrte Ende des Jahres nach London zurück, wo er einen Job als Spanischlehrer fand.

Doch dann, im Sommer 1971, meldeten sich seine palästinensischen Genossen wieder. Ilich reiste erneut in den Libanon, um eine militärische Ausbildung zu absolvieren. Aus Ilich war Carlos geworden. Seit Anfang 1972 war er für die Infrastruktur der PFLP in Westeuropa tätig. Als sein Chef Mohammed Boudia, ein Veteran des algerischen Befreiungskrieges, 1973 bei einem Sprengstoffanschlag in Paris getötet wurde, übernahm Carlos die Führung der Organisation in Europa.

Am 8. Januar 1975 meldete sich Carlos nach einem mißglückten Anschlag auf ein israelisches El- Al-Flugzeug bei der Nachrichtenagentur Reuters zu Wort: „Das nächste Mal werden wir unser Ziel treffen.“ Die von einem palästinensischen Kommando abgeschossenen Granaten hatten einen abgestellten jugoslawischen Jet getroffen. Einen weiteren Anschlag konnte die französische Polizei verhindern; nach einer Geiselnahme konnte das Kommando jedoch ungehindert das Land verlassen. Wenig später scheiterte die Überprüfung von Carlos durch die französischen Behörden; er erschoß zwei der drei Geheimdienstbeamten sowie ein Mitglied seiner Gruppe, das vom israelischen Geheimdienst Mossad umgedreht worden war. Carlos setzte sich in den Nahen Osten ab.

Für internationale Schlagzeilen sorgte der Überfall auf das Opec- Hauptquartier in Wien, an dem Carlos beteiligt war und bei dem drei Personen getötet wurden. Zwei Jahre später, nach dem Tod Wadi Haddads, begann Carlos seine eigene Organisation aufzubauen. Seine rechte Hand soll der Deutsche Johannes Weinrich sein, der seit 1977 im Untergrund lebte. Damals lernte Carlos über Weinrich seine spätere Freundin Magdalena Kopp kennen.

Zur politischen Basis der „Gruppe Carlos“ wurden in diesen Jahren der Irak, Syrien, der Südjemen und in zunehmendem Maße auch osteuropäische Länder. Zum oft genutzten Treffpunkt wurden seit Ende der siebziger Jahre internationale Hotels in Ost-Berin. Zunächst sahen der sowjetische Geheimdienst KGB und die Stasi Carlos als „Verbündeten im Kampf gegen die Imperialisten“ an. Später änderte sich aber die Einschätzung. Carlos sei ein „größenwahnsinniger Mörder“, hieß es dann in den Akten der Stasi, die die Berliner Ermittler nach der Wende auswerten konnten.

Trotz der zum Schluß negativen Einschätzung hatte die Stasi jahrelang mit der „Gruppe Carlos“ paktiert. Nach dem Urteil des Berliner Landgerichts hatte der Stasi-Offizier Helmut Voigt kurz vor einem Anschlag auf das Maison de France in Westberlin im Jahre 1983 Weinrich den Sprengstoff übergeben lassen. Sein Befehl sei „ein Freibrief für einen Terroranschlag“ gewesen, hieß es bei der Verurteilung Voigts zu vier Jahren Haft im April dieses Jahres.

Carlos, gegen den seit 1984 ein Haftbefehl des Berliner Amtsgerichts Tiergarten wegen Mordes vorliegt, hatte sich selbst in einem eigenhändigen Bekennerschreiben zu dem Attentat bekannt. Laut dem Schreiben war Ziel des Attentats die Freipressung zweier Bandenmitglieder – auch von Magdalena Kopp – aus der französischen Haft gewesen. In diesem Zusammenhang hatte die Gruppe weitere Anschläge verübt. Doch die französischen Behörden blieben hart: Kopp, die zusammen mit Bruno Bréguet 1982 bei einer Kontrolle in Paris – im Auto wurde Sprengstoff gefunden – festgenommen worden war, mußte ihre Strafe absitzen. Sie wurde im September 1985 entlassen. Soweit bekannt, lebte sie bis zuletzt mit Carlos und der gemeinsamen Tochter zusammen – nur wo, ist nicht bekannt. b.s.

Quellen: taz-Archiv, Spiegel Nr.31/1976, Stern vom 9.5. 1991