: Halbe Richter-Entschuldigung zum Deckert-Urteil
■ Der Vorsitzende Richter Wolfgang Müller stellt sich eine Ehrenbezeugung aus / Neues Verfahren gegen Deckert verschoben / NPD-Mann will Urteil zu Geld machen
Berlin (taz/dpa) – Offenbar zeigt das Skandal-Urteil des Mannheimer Landgerichts gegen den NPD-Vorsitzenden Günter Deckert erste Konsequenzen. Ein erneues Verfahren gegen ihn wurde gestern auf unbestimmte Zeit verschoben. Am kommenden Freitag hätte sich Deckert in einer Berufungsverhandlung unter anderem wegen Beleidigung verantworten sollen. Er hatte ein Mitglied des „Antifaschistischen Aktionsbündnisses Weinheim“ als „Altkommunisten im Sinne des Massenmörders Stalin“ bezeichnet. Der Mann hatte eine Materialsammlung über den „geistigen Brandstifter“ Deckert verfaßt.
Aus Kreisen des Landgerichts Mannheim war gestern zu hören, daß die für den Fall zuständige Strafkammer wegen des Urteils ihrer Richterkollegen vom 6. Strafsenat eine Belastung der Verhandlungsatmosphäre befürchtet. Der Termin wurde ins kommende Jahr verschoben, „aus dienstlichen Gründen“, wie es offiziell hieß.
Unterdessen ließ gestern der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer, Wolfgang Müller, verbreiten, er bedaure „zutiefst die weltweite Erregung“, die das Urteil hervorgerufen habe. Er habe dem „Angeklagten wegen der von manchen Seiten zum Teil massiven öffentlichen Vorverurteilungen ein dem Rechtsstaat angemessenes Verfahren von höchstmöglicher Objektivität gewährleisten“ wollen, „um zu einem gerechten Urteil zu gelangen“. Neben seiner Fürsorge für den Angeklagten leitet Müller in seiner Quasi-Entschuldigung seine Reputation aus der Tatsache ab, daß er seit 25 Jahren Mitglied in der „ältesten deutschen demokratischen Partei“ (SPD) ist. Fest auf dem „Boden unseres demokratischen Rechtsstaats“ stehend, „verabscheut er nationalistische und antisemitische Ideen“.
Ob er die selbst verfaßte Ehrenerklärung für seine weitere Karriere überhaupt benötigt, ist mehr als fraglich. Gestern beriet das Richterkollegium über das Urteil, und auch das Präsidium des Landgerichts tagte hierzu, aber keines der Gremien hat die Kompetenz, den Richter disziplinarisch zu belangen. Landgerichtspräsident Weber signalisierte schon am Sonntag, daß auch eine andere Verteilung des Geschäftsplans nicht in Betracht komme.
Derweil versucht die NPD gutes Geld aus der Aufregung um das Deckert-Urteil zu schlagen. Zum Preis von 25 Mark (inklusive Porto und Versand) bietet sie die schriftliche Urteilsbegründung zum Kauf an. Eilige Pressevertreter können sich bei einer Pressekonferenz einkaufen. Der NPD-Vorsitzende bietet Fotojournalisten sein Konterfei für läppische 250 Märker an. Annette Rogalla
Kommentar auf Seite 10
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