Carlos hinter Pariser Gardinen

■ Topterrorist in Frankreich inhaftiert / Berlin will Auslieferung wegen „Maison de France“

Paris/Berlin (AFP/dpa) – Der seit zwanzig Jahren international gesuchte einstige Topterrorist Carlos sitzt seit gestern in einem Pariser Gefängnis. Der 44jährige, der in Venezuela geboren wurde und eigentlich Ilich Ramirez Sanchez heißt, wurde am Sonntag im Sudan festgenommen und am selben Tag an Frankreich ausgeliefert, wo er für zahlreiche Anschläge verantwortlich gemacht wird. Der französische Innenminister Charles Pasqua erklärte gestern nachmittag auf einer Pressekonferenz, Carlos müsse sich jetzt für seine Taten verantworten. Auf sein Konto gingen allein in Frankreich der Tod von mindestens 15 Personen und etwa 250 Verletzte.

Die französische Spionageabwehr DST wußte laut Pasqua angeblich bereits seit Anfang des Jahres, daß Carlos sich im Sudan aufhielt. Am Sonntag hätten die sudanesischen Behörden bestätigt, daß sie Carlos zweifelsfrei identifiziert hätten. Über die „gefährliche und heikle Operation“, mit der Frankreich vorher den Informationen über eine Anwesenheit von Carlos im Sudan nachgegangen sei, wollte der Innenminister keine Details nennen.

Wie die sudanesische Regierung mitteilte, war der Venezolaner in Begleitung mehrerer Personen mit einem gefälschten arabischen Diplomatenpaß ins Land eingereist. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Luxushotel habe er dann ein Haus gemietet, in dem die Gruppe den Behörden durch „ungewöhnliches Verhalten“ aufgefallen sei. Der Sudan beschuldigte westliche Geheimdienste, die Einreise des Gesuchten ermöglicht zu haben, um Khartum weiter der Unterstützung des Terrorismus bezichtigen zu können.

Carlos soll heute dem für Terrorfragen zuständigen Untersuchungsrichter Jean- Louis Bruguière vorgeführt werden, erklärten die Gefängnisbehörden. Bruguière führt vor allem die Ermittlungen zu dem Bombenanschlag vom April 1982 auf die Redaktion der arabischsprachigen Zeitschrift Al Watan al Arabi in Paris. Die Explosion eines Autos, in dem eine Bombe versteckt war, hatte damals einen Toten und 63 Verletzte gefordert. Carlos war bereits am 1. Juni 1992 wegen der Ermordung von zwei Polizisten, die er bei einer versuchten Festnahme erschossen hatte, von einem Gericht in Paris in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Kaum saß Carlos hinter Schloß und Riegel, meldete sich gestern die Berliner Staatsanwaltschaft zu Wort. Sie will die französischen Behörden um seine Auslieferung ersuchen. Wie Justizsprecher Frank Thiel mitteilte, soll jedoch erst abgewartet werden, ob die französische Justiz weitere Anklagen erheben wird. In Berlin liegt seit April 1991 ein Haftbefehl gegen Carlos und seinen Vertrauten Johannes Weinrich wegen gemeinschaftlichen Mordes im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das französische Kulturzentrum „Maison de France“ in West-Berlin im Jahre 1983 vor. Beide sollen maßgeblich an der Planung des Attentats beteiligt gewesen sein, bei dem eine Person getötet und 23 weitere verletzt wurden.

Im Oktober 1992 ersuchte die Berliner Justiz nach Thiels Angaben in Syrien um die Auslieferung von Carlos und Weinrich. Bisher hätten die syrischen Behörden allerdings auf dieses Begehren nicht reagiert. Mit dem Anschlag auf das „Maison de France“ hatte sich erstmals ein deutsches Gericht Anfang dieses Jahres befaßt. Angeklagt war der frühere Stasi-Offizier Helmut Voigt, den das Berliner Landgericht im April wegen Beihilfe zum Mord und zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu vier Jahren Haft verurteilte. Tagesthema Seite 3