: Und prickelnd wirbelt die Bohrmaschine
■ Ungewöhnliche Miet-Erschleichung und andere böse Taten im ostdeutschen Krimi
Nicht nur junge Menschen feiern Feste. Doch eben diese erleben es häufiger, daß sich neben den abgenappelten Papptellern am nächsten Morgen ein Rest-Gast aus dem Festmüll schält. Der übriggebliebene Herr in Hartmut Mechtels Kurzkrimi bleibt denn auch. Aber nicht die Liebe bewegt die Wohnungsinhaberin Anna zur kostenfreien Untervermietung, sondern ihre left correctness. Unmöglich mit ihrem Gewissen zu vereinbaren erscheint ihr, den jungen wohnungslosen Mann auf die Straße zu setzen. Doch irgendwann reißt einem auch mit 25 der politisch gewebte Geduldsfaden. Raus soll er, und zwar schnell. Der auf Mitleid Bauende kann aber auch ganz anders. Ein spielerisch am Küchentisch gedrehtes Stilett als drohend eingesetztes Diskussionsutensil ist nur der Anfang dieser Mietgeschichte, die bis zum Einsatz einer Bohrmaschine eskaliert.
„Neue ostdeutsche Krimis“ nennt sich das Werk, in dem diese Werkzeugattacke geritten wird, und weiter in der Unterzeile „14 Autoren aus den neuen Ländern und Westberlin“. Die nüchterne Ausführlichkeit des Titels erinnert mehr an eine Seminararbeit über Deutsch-Deutsches, versammelt jedoch 18 kurze Erzählungen, die alle ansatzweise mit Verbrechen der diversen Art zu tun haben.
„Ostdeutsch ist geographisch gemeint“, erklärt Astrid Schumacher (West), die Herausgeberin des Bandes in ihrem Vorwort, und es ist gut, so eingeführt zu werden. Denn nun versteht man, warum sich auch Westler im Krimireigen finden, wie der Soziologen-ky mit einer etwas müden Reality-TV- Geschichte. „Ich habe die Stories ausgesucht, die die verschiedenen Aspekte der Vereinigungsdepression für mich optimal transportieren!“ ist weiterzulesen – am besten läßt man diese Krimigebrauchsanweisung aber einfach beiseite. Denn außer dem ab und zu auftauchenden Schauplatz Ost gibt es nur selten einen Bezug zum vorgegebenen Geschichtsthema.
Bei Heinz Werner Höber alias Jerry Cotton (518 Kriminalromane unter zwölf Pseudonymen, so der Pressetext) wird dafür um so mehr in die deutsche Spielkiste gegriffen. Eine DDR-Domina möchte sich zur Ruhe setzen, die Ketten endlich in den Schrank hängen, aber die Vergangenheit läßt ihr keine Ruhe. Die Stasi war beim Peitschenschwingen immer dabei, hinter verspiegeltem Glas wie bei der bewährten Familientherapie. Die geheimsten Pläne entlockte Irene ihren Kunden, nun möchte sie aber ihrem Wolfgang „eine gute Sekretärin und eine noch bessere Frau werden“. Doch da taucht der ehemalige Führungsoffizier und Zuhälter Kulinski auf. Vorbei ist's mit den Träumen, obwohl sie doch darauf setzte, daß nur Wolfgang, „dieser gutmütige Mann, sie erlösen konnte aus dem Vergangenen, weil seine Liebe aus der Seele kam und sich nicht zwischen seinen Beinen erschöpfte. Wolfgang, versprach sie stumm: Ich werde für uns kämpfen.“ Solche Sätze versöhnen mit der drögen Handlung, stimmen sie einen doch heiter und froh. Die meisten der kurzen kriminalistisch gefärbten Stories eignen sich eher als literarische Dreingabe für die Unterhaltungsseite zum Wochenende. Da hilft es auch nicht, zu wissen, daß die Bücher der in der Sammlung veröffentlichten Autoren wie Jan Eik, Fred Ufer oder Jan Flieger in der ehemaligen DDR in hohen Auflagen verlegt wurden, ganz geographisch natürlich.
Herausgegeben ist dieser Band vom Eisbär Verlag, einem Ein- Mann-Unternehmen. Der 30jährige Thomas Kloshek gründete den Verlag vor einem jahr. „Eisbär'n müssen nie weinen“, sang er einst mit seinen Kumpanen im Knast, als er wegen Republikflucht einsaß, nun dient der tränenlose Bär ihm als Verlagsname.
Das kleine Verlagsprogramm hat neben einigen weiteren Krimititeln einen Gedichtband im Programm sowie ein Buch, „das Tagebücher und Dokumente eines ostdeutschen Fabrikbesitzers“, eines Kapitalisten aus Überzeugung, sammelt. Alle Bücher erscheinen im Hardcover zum Einheitspreis von rund 30 Mark. Nicht wenig für die schmalen Bändchen, die im Wagenbach-Format der Saltobände erscheinen, allerdings drei Millimeter schmaler als das Vorbild. Diese Ausführung passe in jede Brusttasche, setzt er erklärend hinzu, das Format sei „U-Bahn- kompatibel“. Wenn Irene doch noch freikommen sollte aus den Stasi-Fängen, kann sie problemlos ein solches Buch auf der samstäglichen Fahrt zu ihren Schwiegereltern, Wolfgangs Eltern, mitnehmen. Caroline Roeder
„Neue ostdeutsche Krimis. 14 Autoren aus den neuen Ländern und Westberlin.“ Erzählungen, Eisbär Verlag, Auslieferung Rotation, 208 S., 29,80 DM.
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