: Das Tor zum inneren China
Wuhan will den boomenden Küstenstädten Chinas Konkurrenz machen / Von einer heruntergekommenen Industriestadt zum Finanzzentrum ■ Aus Wuhan Sheila Tefft
Im überfüllten, verräucherten Maklerraum der Wuhan Securities Company lächelt Kang Wei nervös und wartet auf die Schließung der Aktienbörse. Im vergangenen Jahr gab der 24jährige seinen Ingenieursjob auf und wurde hauptberuflich Aktienhändler, nachdem er sich mit einer Aktieninvestition im Werte von 23.000 US-Dollar die Zulassung zum exklusiven Klub der Dahu oder größeren Investoren bei der Wuhan Securities verschafft hatte.
Jeden Tag kauert er zusammen mit Dutzenden anderer jugendlicher Investoren über Computerterminals und beoabachtet die Nachrichten aus Chinas beiden Aktienbörsen in den Finanzzentren von Shanghai und Shenshen an der Küste. Enttäuscht von häufigen Computerausfällen und dem unzulänglichen Nachrichtenfluß in diese zentrale Stadt Chinas, warten Kang und andere Händler nur auf den Tag, an dem Wuhan mit Shanghai und Shenshen gleichziehen und eine eigene Aktienbörse eröffnen wird.
„Shanghai und Shenshen wollen ihre regionalen Positionen wahren und wehren sich gegen die Eröffnung einer weiteren Aktienbörse“, sagt Kang, während er die Ergebnisse eines weiteren kümmerlichen Tages auf dem Baissemarkt begutachtet. „Aber Chinas wirtschaftliche Entwicklung hängt von den Städten Zentralchinas und der Entwicklung des Jangtse-Tales ab. Jetzt muß die Kluft zwischen dem Inland und den Küstengebieten verkleinert werden.“
Jahrhundertelang war Wuhan das Tor zum inneren China. Jetzt versucht die Stadt, wenigstens einen Teil ihrer früheren Bedeutung zurückzugewinnen und den schnell wachsenden Küstenregionen einen Teil des Geschäfts abzujagen. Seit sich China vor fünfzehn Jahren ausländischen Investitionen und kapitalistischen Methoden öffnete, war die Ostküste bei der Einführung von Marktreformen führend und zog fast alle ausländischen Investoren an, die sich nicht auf die schlechten Tansportmöglichkeiten und andere Schwierigkeiten im Inland einlassen wollten.
Dies führte zu einer riesigen Kluft im Pro-Kopf-Einkommen: zwischen mehr als 1.000 US-Dollar jährlich in einigen größeren Städten des Ostens und 150 US-Dollar jährlich in einigen isolierten ländlichen Gegenden. Aber das soll sich ändern, sagen chinesische Regierungsvertreter und ausländische Wirtschaftswissenschaftler.
Seit die Löhne steigen und die Bodenpreise im Osten in die Höhe schießen, suchen ausländische Fabrikbesitzer nach billigeren Möglichkeiten im Inneren, wo das Lohnniveau nicht einmal halb so hoch liegt wie an der Küste.
Da die ausländischen Hersteller inzwischen auch in China selbst verkaufen können und nicht nur für den Export produzieren, konzentrieren sie sich zunehmend auf bisher unberührte Inlandmärkte. Die geplante Entwicklung des Jangtse-Tales, das sich durch Zentralchina windet, steht bei der Regierung an erster Stelle und bietet eine große Lockung für Geschäftsleute aus dem Ausland und von der chinesischen Küste.
„Das Lohnniveau an der Küste ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen. 80 Firmen ziehen auf der Suche nach besseren Bedingungen nach Norden und ins Inland um“, sagt Nyaw Mee-kau, ein Wirtschaftswissenschaftler an der chinesischen Universität von Hongkong. „Es ist schwieriger, in die eingeführten Märkte an der Küste einzubrechen, so daß die Firmen nach Orten mit besseren Möglichkeiten suchen.“
Die Regierung in Peking hofft, daß Wuhan, eine heruntergekommene Industriemetropole mit fast sieben Millionen Einwohnern und starker Luftverschmutzung, von diesem Trend profitiert. Im Gefolge von Guangschou in der Provinz Guangdong und Chengdu in der Provinz Szechuan wurde Wuhan, die Provinzhauptstadt von Hubei, zur dritten Stadt bestimmt, die als Handels-, Finanz- und Verkehrszentrum in China ausgebaut werden soll. Schon sind Anstrengungen im Gange, in der Nähe von Wuhan einen Industriepark und Containerumschlagplatz für zwei Milliarden US-Dollar zu entwickeln, mit der Hilfe des Konzernherrn Peter Woo aus Hongkong und seiner Firma, der Wharf Holding Ltd. Geplante ausländische Investitionsprojekte haben von 180 im Jahre 1991 auf voraussichtlich über 2000 in diesem Jahr zugenommen. Die Stadtväter versuchen, weitere Unternehmer mit Plänen zu locken, aus Wuhan einen Eisenbahnknotenpunkt auf einer neuen Linie zu machen, die von Peking nach Shenchan gebaut wird und 1997 fertiggestellt sein soll.
Aber die Umwandlung Wuhans in ein modernes Wirtschaftszentrum wird eine schwierige Aufgabe, geben die Vertreter der Stadt zu. Mit mehr als 4.000 Industrieunternehmen, darunter einigen der größten Chinas, verfügt Wuhan über eine riesige, aber bröckelnde Industriebasis, die im Umfang der produzierten Güter nur hinter Shanghai zurücksteht. Seit sich der wirtschaftliche Druck auf erfolglose Unternehmen verschärft, sammelten sich in der Stadt Tausende von Arbeitslosen und Wanderarbeitern vom Lande. „Der Umgang mit all diesen alten Unternehmen verursacht der Stadt eine Menge Probleme, mit denen sich andere Städte nicht auseinandersetzen müssen“, sagt Li Pan, ein für Wirtschaftsfragen zuständiger Kommunalbeamter.
Ein Eckstein der Kampagne Wuhans ist der Sieg im Rennen um die nächste Aktienbörse in China. Schon jetzt ist Wuhan Chinas größter Aktienhandelsmarkt und baut ein vierzigstöckiges Finanzzentrum in der Hoffnung, Tianjin, Shenjang und Chongqing im Rennen um den Aktienmarkt aus dem Felde zu schlagen.
„Um die staatlichen Unternehmen in Aktiengesellschaften zu verwandeln, müssen wir mehr Aktienbörsen gründen“, sagt Zhao Ziming, der zweite Vorsitzende der Wuhan Securities Company, der führenden Maklerfirma auf einem Markt, der 1993 1,5 Milliarden US-Dollar Umsatz im Aktien- und Wertpapier-Handel erzielte.
Aber in letzter Zeit haben die galoppierende Inflation, die verbreitete Spekulation und sinkende Aktienkurse Chinas finanzielle Aussichten verdüstert. Die Eröffnung eines nationalen Devisenhandelszentrums in Shanghai im letzten Monat wurde behindert durch technische Probleme und Verwirrung um die Richtlinien für das System. Der neue Devisenmarkt soll eine Bankstruktur zur Behandlung des Devisenaustauschs nach den Vorgaben entwickelter Länder herausbilden.
Die Richtlinienkommission Chinas für den Aktienhandel kündigte Ende letzten Monats an, sie wolle eine nicht näher bezeichnete Zahl zukünftiger Wechselstellen und Maklerbüros schließen; der Handel mit Terminkontrakten über Dutzende verschiedene Rohstoffe wurde eingestellt. Seit Monaten warnt die Regierung, sie werde die Branche schärfer beaufsichtigen und die Spekulation stoppen, die die Inflation anheize.
Kürzlich erst unterzeichnete China einen Kooperationsvertrag mit der US-Kommission zur Überwachung des Wertpapier- und Wechselhandels, wonach fünf chinesische Firmen an der New Yorker Aktienbörse zugelassen werden. Die Vereinbarung wird Garantien für Investoren enthalten, die mit den Aktien unter anderem von China Eastern Airlines, Huaneng International Power Development Company oder Shandong Huaneng Electricity Company handeln.
Im Inland jedoch haben die chinesischen Behörden die Entscheidung über die dritte Börse verschoben und angekündigt, sie wollten den Wert neuer Aktienemissionen für dieses Jahr auf 600 Millionen US-Dollar beschränken und einige neue Emissionen auf 1995 verschieben.
Die Regierung, die noch keine Einigung über die Details eines neuen Wertpapiergesetzes herbeiführen konnte, hat angekündigt, die neuen Gesetze, die von vielen Händlern begierig erwartet werden, würden in naher Zukunft noch nicht verabschiedet.
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