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Hart durchgegriffen

■ Libanesische Gang: Staatsanwälte lassen sich keine Untätigkeit vorwerfen

Seit einem halben Jahr sorgen kurdisch-libanesische Jugendliche für Schlagzeilen: Sie begehen Ladendiebstähle in der Innenstadt, berauben Tankstellen im Umland, jüngst schlugen mehrere den Mitarbeiter eines Lokals zusammen. Seit Anfang des Jahres ist die Ermittlungsgruppe „Intensivtäter“ hinter den Jugendlichen her und legte der Staatsanwaltschaft in der Folge pralle Akten vor. Nun warfen „Weser-Kurier“ und „Bild“ der Bremer Staatsanwaltschaft Untätigkeit vor. Wir fragten Staatsanwalt Klaus-Peter Finke selbst.

taz: Die Staatsanwaltschaft sei untätig, wirft man Ihnen vor.

Klaus-Peter Finke: Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. Sobald die Mitglieder der Gruppe strafmündig waren, also ab 14 Jahren, ist sofort Anklage erhoben worden. Die Polizei hat der Staatsanwaltschaft insgesamt Verfahren gegen 15 Personen vorgelegt. Ein Täter war allerdings noch nicht strafmündig, gegen einen Erwachsenen wurde das Verfahren mangels Tatnachweis eingestellt, und in einem Fall war die Staatsanwaltschaft Verden zuständig. Gegen die restlichen zwölf Beschuldigten hat die Staatsanwaltschaft ausnahmslos Anklage erhoben: Drei Angeklagte sind zu Jugendstrafen verurteilt worden, drei zu Jugendstrafen mit Bewährung – teilweise ist diese Bewährung inzwischen widerrufen worden. Gegen fünf Täter hat der Jugendrichter erzieherische Maßnahmen wie soziale Trainingskurse oder Zuchtmittel wie Arrest verhängt, ein Verfahren läuft noch.

Das sind recht drastische Urteile, schließlich sind es 14 bis 19jährige. Sie sind also so weit gegangen, wie man juristisch gehen kann?

Aber wirklich. Man muß nämlich schon darüber nachdenken, ob man diese jungen Straftäter wegen Wiederholungsgefahr überhaupt in Untersuchungshaft nehmen kann.

Als Laie stellt man sich ja vor, daß da ganz klar Wiederholungsgefahr besteht, weil die doch gleich wieder eine Tankstelle überfallen werden.

Aber der Haftgrund Wiederholungsgefahr setzt voraus, daß es schon eine Verurteilung gab und daß die eben nicht ausgereicht hat, um ihn davon abzuhalten – bei Jugendlichen liegt aber in der Regel keine Vorverurteilung vor. Ich kann nicht einfach sagen, der hat jetzt wieder einen Diebstahl begangen, deswegen nehm' ich ihn rein wegen Wiederholungsgefahr. Er muß schon einen Einbruch oder einen Diebstahl mit Waffengewalt begangen haben. Es muß also eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein. Den Haupthaftgrund Fluchtgefahr habe ich bei diesen Jugendlichen sowieso nicht, die sind fest in ihre Familien eingebunden.

Was geben Sie diesen Jugendlichen für eine Prognose?

Bei einigen hat wohl die Haft bewirkt, daß sie nicht wieder in Erscheinung getreten sind. Bei anderen wird man wohl die nächste Tat abwarten müssen, und dann muß man sie reinnehmen. Das ist zwar bitter und auch schwierig mit dem Jugendstrafgesetz in Einklang zu bringen, weil darin der Erziehungsgedanke an oberster Stelle steht – auf der anderen Seite kann man nicht hinnehmen, daß da eine Gruppe die Innenstadt terrorisiert. Irgendwo hörts auf.

Manche rufen nach einem schärferen Jugendstrafrecht...

Man hat ja schon gar keine Lust mehr, das vorzubeten, aber sämtliche Untersuchungen belegen, daß bei den meisten Jugendlichen Straftaten allgemein sind. Die jungen Straftäter erscheinen drei-, viermal und sind dann in der Regel wieder weg. Das hat was mit Jugend zu tun, mit dem Ausprobieren von Grenzen. Dafür ist das Jugendstrafrecht genau das richtige Mittel.

Solche klauenden Gruppen gibt es öfter?

Das mit den libanesischen Kurden ist doch von der Presse hochgezogen worden. Ich hab' schon Verfahren gegen Gruppen gehabt, die ganz andere Taten begangen haben: die sind ganz massiv in Wohnungen eingebrochen, sind Fassaden hochgeklettert, die haben Autos aufgeknackt bis zum Gehtnichtmehr, dann Tankstellenräuberei undundund, mehrfach... Da hab' ich nicht einen Satz in der Presse drüber gelesen. Die Sachschäden, die diese libanesische Gruppe angerichtet hat, sind vergleichsweise gering. Bedenklich ist aber das hohe Gewaltpotential, deswegen sind wir ja auch eingeschritten.

Nochmal zu dem Ruf nach Verschärfung des Jugendstrafrechts – inwiefern ist es überhaupt milder als das allgemeine Strafrecht?

Ich kann zum Beispiel bei einem Raub einstellen, im Erwachsenenstrafrecht habe ich nur die Freiheitsstrafe von einem Jahr oder den Freispruch, wenn ich nichts nachweisen kann. Im Jugendstrafrecht habe ich dagegen ein sehr abgestuftes System, damit ich auch flexibel reagieren kann. Die ganzen letzten Jahrzehnte haben gezeigt: Das reicht aus.

Aber dann tauchen immer mal wieder Tätergruppen auf, wo man meint, das Jugendstrafrecht reicht auf einmal nicht mehr. Ich bin aber eher der Meinung, daß unsere erzieherischen Mittel noch nicht richtig ausgeformt sind. Wobei Bremen mit seinem Angebot in Deutschland weitgehend führend ist. Aber da muß man schauen, ob diese Angebote noch passen.

Man kann bei jedem Täter, wenn es denn rechtzeitig begonnen wird, mit geeigneten sozialen Maßnahmen was bewegen. Wenn natürlich einer in einer ganz schlechten sozialen Situation aufwächst, hab' ich nicht viel Chancen, die soziale Situation zu ändern. Aber selbst da kann man was versuchen. Das kostet eben Geld.

Hartes Strafen führt außerdem selten zum Erfolg: Jugendliche, die im Knast saßen, haben die höchsten Rückfallquoten...

Und man hat festgestellt, daß die Kriminalitätsbelastung immer gleich hoch ist, egal ob man mit harten oder milden Strafen vorgeht. Ich kann nicht sagen, wenn hart gestraft wird, habe ich weniger Kriminalität.

Fragen: Christine Holch

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