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Der wahre Wähler ist der Präsident

Die SyrerInnen dürfen sich heute ein neues Parlament wählen / Doch Staatschef Hafis al-Assad hat längst entschieden, wer das Volk in den nächsten vier Jahren vertreten wird  ■ Aus Damaskus Kristoph Kandet

„Das Parlament, wo ist das?“ fragt der Taxifahrer, als ich ihm das Fahrtziel nenne. „In der Nähe vom Kino as-Sufarah“, erkläre ich, und schon weiß der Mann, wo ich hin will. Die Fahrt zur syrischen „Volkskammer“ führt an Tausenden verschiedenen Wahlplakaten vorbei. Von den Transparenten lächeln in Farbe und Schwarzweiß annähernd 7.000 verschiedene Gesichter: alles Kandidaten, die sich für einen der insgesamt 250 Parlamentssitze bewerben, über deren Besetzung die SyrerInnen heute entscheiden sollen.

„Ich mische mich nicht in die Politik ein“, erklärt der Fahrer seine Unkenntnis. Im übrigen hätten die Abgeordneten sowieso nichts zu sagen. In Syrien gebe es nur eine Person, die politische Entscheidungen fälle: der seit 1971 unangefochten amtierende Staatspräsident Hafis al-Assad. „Ich bin 45 Jahre alt und habe noch nie in meinem Leben gewählt“, erklärt der Fahrer lachend. Und so werde er es auch diesmal halten. Schließlich werde die syrische Bevölkerung über die staatlichen Medien Tag und Nacht dazu aufgefordert, „qualifizierte und ehrliche Parlamentarier“ zu wählen. „Ich bin sicher, daß keiner der Kandidaten diesen Ansprüchen genügt“, meint er grinsend.

„Der 24. August ist ein historisches Datum“, heißt es unisono in den syrischen Zeitungen. „Mit den Wahlen werden die großartigen Ideen unseres Führers Hafis al-Assad verwirklicht.“ In allen Provinzen des Landes treten die Kandidaten mit ähnlichen Sprüchen auf. Sie erklären den „Massen“, wie gut es ihnen in Syrien geht und daß sie dies der weisen Führung al-Assads zu verdanken haben. Souverän würde der Oberhirte des syrischen Volkes „den Verschwörungen des Zionismus und Imperialismus“ widerstehen.

Kritische Stimmen gibt es keine. Die syrischen Medien sind ausnahmslos staatlich gelenkt, und ausländische Druckerzeugnisse werden vor dem Verkauf darauf untersucht, ob ihr Inhalt auch staatstragend ist. Texte, in denen die Führungsqualitäten al-Assads und seiner Vertrauten in Zweifel gezogen werden, entfernen die Zensoren kurzerhand. So kommt es, daß ausländische Zeitungen in Syrien häufig etwas dünner sind als anderswo.

„Volksdemokratie“ nennt die syrische Führung jenes Regierungssystem, das irgendwo zwischen Realsozialismus und Familiendiktatur angesiedelt ist. „Das Volk beherrscht sich selbst“, heißt es in der Literatur der regierenden Baath-Partei, der einzigen relevanten politischen Kraft im Staat.

„95 Prozent der Kandidaten wissen, daß sie überhaupt keine Chance haben, gewählt zu werden“, erläutert Ismat*. Der Schriftsteller, ein langjähriger Verächter des syrischen Regimes, ist darauf bedacht, daß seine Kritik in dem Land nicht öffentlich wird. „Die meisten wurden von der Partei oder vom Geheimdienst zur Kandidatur gedrängt, um dem System den Anschein von Demokratie zu geben.“ Andere würden kandidieren, weil sie einfach stolz seien, ihr Konterfei auf einem Plakat zu sehen. Eine Minderheit der Kandidaten sei sich dagegen hundertprozentig sicher, im zukünftigen Parlament zu sitzen. Es seien jene Personen, die von der offiziell regierenden „Nationalen Front“ aufgestellt wurden. Die restlichen Parlamentssitze würden unter den sogenannten „Unabhängigen“ verteilt – Kandidaten ohne Parteibuch, die aber für ihre Regimetreue bekannt seien.

Die „Nationale Front“ wurde nach Vorbildern aus der DDR und Bulgarien gebildet. Sie besteht aus acht Parteien, an deren Spitze die Baath-Partei steht. Die sieben weiteren Mitglieder sind kommunistische und panarabisch-nationalistische Parteien, die den Führungsanspruch der Baath nicht in Frage stellen. In dem letzten, vor vier Jahren gewählten syrischen Parlament besetzten Kandidaten der „Nationalen Front“ 159 Sitze. 127 von ihnen waren Baathisten. Weil Syrien offiziell ein sozialistischer Staat ist, sind 51 Prozent der Parlamentssitze für „Bauern und Arbeiter“ reserviert.

Nur die Kandidaten der „Nationalen Front“ machten mit einem politischen Programm Wahlkampf, und auch dieses bestand aus monotonen Widerholungen abgedroschener Parolen: „Gesellschaftliche Gerechtigkeit, Fortschritt und Freiheit“ gehören ebenso zu ihren Zielen wie „Demokratie“. Den Phrasen ist gemein, daß sie mit der politischen Realität in Syrien nichts zu tun haben.

Der einzige relevante Unterschied zwischen den Plakaten der Kandidaten sei deren Format und Druckqualität, meinen viele SyrerInnen. Da die Möchtegernparlamentarier die Transparente aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, sehe man daran wenigstens, wie reich sie sind. Die meisten Kandidaten haben unter ihre Fotos nur den Namen drucken lassen, andere haben die Berufsbezeichnung hinzugefügt: der Händler Jussef, der Industrielle Ahmad, der Kriegsinvalide Merwan... Ein Dichter ließ auf seine Plakate eine besondere Qualifikation drucken: Er sei imstande, Prosa außergewöhnlich gefühlvoll zu rezitieren. Unter dem Porträt von Muna Wassef stehen Auszüge von Interviews, die die bekannte Schauspielerin in den letzten dreißig Jahren gegeben hat. Mit Politik hat freilich keines etwas zu tun. Keiner der Kandidaten läßt sich auf seinen Transparenten oder während Wahlkampfveranstaltungen über politische Themen aus. Probleme wie die wirtschaftliche Lage, grassierende Arbeitslosigkeit und Armut sowie der Nahost-Friedensprozeß sind für die Kandidaten ebenso tabu wie für die gemeine Bevölkerung. Mit den brennenden politischen Fragen dürfen sich im Reich von Hafis al-Assad nur er selbst und seine Vertrauten befassen.

„Ich habe mich entschieden, diesmal nicht zu kandidieren“, erläutert Professor Saad*. „Meine Kollegen haben mir empfohlen, von einer Kandidatur Abstand zu nehmen.“ Der Grund dafür liege in Ereignissen vor vier Jahren, als er sich zum letzten Mal um einen Parlamentssitz beworben hat. Damals habe nach den Wahlen der Gouverneur von Damaskus angerufen und ihm zum Einzug in das Parlament gratuliert. Drei Stunden später habe das Telefon erneut geklingelt: „Der Gouverneur entschuldigte sich bei mir und erklärte, bei der Auszählung sei ein Fehler gemacht worden. Ich sei leider nicht unter den Abgeordneten.“ Anstatt seiner sei ein anderer Universitätsprofessor in das Parlament eingerückt. In Damaskus wurde damals gemunkelt, unter dessen Studenten sei eine Tochter eines hohen Parteifunktionärs gewesen, der der Professor besonders gute Noten gegeben habe. Ähnliche Geschichten kursieren in der syrischen Hauptstadt zuhauf. Ein beliebter Spruch zum Thema Wahlen lautet: „Bei uns ist nicht entscheidend, wer wählt, sondern wer anschließend die Stimmen auszählt.“

Am Abend werden in dem Gästeraum eines Hauses in der Damaszener Altstadt gut hundert Stühle aufgestellt. Ihnen gegenüber stehen ein Dutzend bequemer Sessel. Die weichen Sitzgelegenheiten sind für einen Kandidaten der Baath-Partei und seine wichtigsten Gäste, die harten Stühle für potentielle WählerInnen. Dazwischen befindet sich ein Tisch, auf dem ein mit einem Rosenstrauß dekorierter Lautsprecher steht: das Inventar für eine Wahlkampfveranstaltung. Gegen 8 Uhr füllt sich der Raum. Jungen mit weißen Hemden und elegant gebügelten schwarzen Hosen servieren den Gästen arabischen Kaffee. Dann springt eine Gruppe von Claqueuren in die Mitte. Die jungen Männer klatschen, tanzen und skandieren: „Gott schütze unseren Präsidenten, Gott unterstütze unseren Kandidaten.“ Dann tritt ein Mittfünfziger mit einem in einen eleganten Anzug gezwängten Schmerbauch vor die Menge. Der Parlamentarier in spe begrüßt die Anwesenden und hält so etwas wie eine programmatische Rede: „Wir werden unter der Führung unseres geliebten Präsidenten fortschreiten und Syrien Ruhm und Ehre bringen...“ Die Ansprache wird mehrmals von Jubelrufen und Applaus unterbrochen. Zum Abschluß tritt eine Folkloregruppe auf, die die Anwesenden mit nationalem Liedgut und Schwerttanz unterhält. In allen Stadtteilen und Dörfern hat die Baath-Partei ihre Mitglieder mobilisiert, um solche Veranstaltungen durchzuführen. Wer sich nicht an den Jubelfeiern beteiligt, bekommt leicht Schwierigkeiten mit der Staatsgewalt.

Einer der Wahlgewinner stand schon Monate vor dem Urnengang fest: die Mercedes-Benz AG. Jeder der neu gewählten Abgeordneten hat das Recht, eine Karosse mit dem Stern aus Untertürkheim nach Syrien zu importieren – und das steuerfrei. Aufgrund der strikten syrischen Einfuhrbestimmungen für Pkw haben die Fahrzeuge in Syrien einen astronomischen Wert. Ein Abgeordneter, der seinen Benz für zwei Millionen syrische Pfund (rund 85.000 Mark) erwirbt, kann ihn für zehn Millionen Pfund weiterverkaufen. Der Damaszener Agent von Mercedes, Ihsan Sonkar, gilt als sicherer Kandidat für das syrische Parlament. Beobachter der syrischen Politszene behaupten, er habe für seine Wahlkampagne mehrere zehn Millionen Pfund ausgegeben. Er ließ Geld unter Bedürftigen verteilen und hat armen Studenten versprochen, ihr Studium zu finanzieren. Neben einem Parlamentssitz ist ihm so der Titel „Vater aller Armen“ gewiß.

„Der einzige richtige Wähler sitzt im Präsidentenpalast“, meint ein Oppositioneller, der Wert auf absolute Verschwiegenheit legt. Seiner Ansicht nach ist die Zusammensetzung des künftigen Parlaments längst entschieden. Nach al- Assads Willen würden ihm drei Gruppen von Abgeordneten angehören: „Die ersten sind Baathisten, Geheimdienstler und Vertreter der Nationalen Front.“ Die zweiten seien vom Staat geduldete und instrumentalisierte Islamisten – Scheichs, Prediger, Religionsgelehrte und Vertreter islamischer Wohltätigkeitsorganisationen. Ihre Aufgabe sei es, „Tag und Nacht den Präsidenten und das Regime zu preisen und dessen islamische Legitimität zu untermauern“. Die dritte Gruppe bestehe aus „Reichen, die ihre Schätze unter dem Schutz des Regimes anhäufen“. Das seien „Händler und Agenten ausländischer Firmen mit hervorragenden Beziehungen zum syrischen Machtzentrum“. Der Oppositionelle hält kurz inne, bevor er fortfährt: „Und als Schmuck braucht man ein paar Intellektuelle, Technokraten und Schauspieler. Aber die sind ganz einfach zu finden.“

* Namen geändert

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