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Fast ein zweites Herborn

■ Tanklaster raste in Gaststätte

Ansbach/Berlin (AP/taz) – Die fränkische Gemeinde Merkendorf bei Ansbach ist gestern früh nur knapp einer Katastrophe wie vor sieben Jahren in Herborn entgangen: Der Fahrer eines mit 23.000 Litern Benzin beladenen Tanklastzuges verlor bei Tempo 90 vor einer Rechtskurve am Ortseingang die Kontrolle über den Transporter und raste mit voller Wucht in eine Gaststätte. Das Führerhaus des Sattelzugs durchbrach die Außenmauer des Lokals. Der 52jährige Fahrer wurde nach Angaben der Polizei in seiner Kabine eingequetscht und war sofort tot.

Der Tank des Sattelzuges blieb wie durch ein Wunder unbeschädigt. In der Gaststätte befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks niemand. Die drei Bewohner im Obergeschoß des Hauses kamen mit dem Schrecken davon.

Das Benzin, ein Erprobungsgemisch namens Varsol-40, wurde in einen Ersatztankwagen umgepumpt. Die Explosionsgefahr sei gebannt, sagte ein Polizeisprecher. Der Treibstoff sei in der Zusammensetzung mit dem Flugbenzin Kerosin vergleichbar und damit nicht so leicht entflammbar wie herkömmliches Benzin.

Rund 100 Millionen Tonnen Mineralöl jährlich werden über bundesdeutsche Straßen gefahren, das sind gut sechseinhalb Millionen Transporte im Jahr, rechnet Ernst Liebert vom Bundesverband des deutschen Güternahverkehrs vor.

Solche Gefahrguttransporte unterliegen komplizierten technischen Vorschriften, etwa über die Bremsanlagen oder die Ausrüstung der Tanks. Für die Fahrer gefährlicher Stoffe gelten jedoch keine besonderen Auflagen, eine eigene Ausbildung gibt es nicht. „Der Fahrer ist hier, wie so oft, das schwächste Glied“, meint Liebert.

1987 waren im hessischen Herborn sechs Menschen getötet und 40 verletzt worden, nachdem ein mit Benzin beladener Tanklaster in ein Eiscafé gerast und explodiert war. Die Flammen legten damals elf Häuser in Schutt und Asche. Der Fahrer des Lastzuges wurde von einem Gericht verurteilt. Auch der Besitzer des Lasters war damals zur Verantwortung gezogen worden, weil sein Lkw technisch nicht in Ordnung war.

Daß die Fahrer nur aufgrund des Drucks der Spediteure mit gefährlich überhöhter Geschwindigkeit fahren, will Liebert nicht pauschal bestätigen. Die Spediteure seien gerade aufgrund diverser Unfälle vorsichtiger geworden. Die Fahrer würden oft Termindruck als Entschuldigung für zu schnelles Fahren vorbringen, wenn sie in Wirklichkeit nur einem früheren Feierabend entgegenstrebten, so Liebert. lieb

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