„Einfach ins Leere schauen“

■ Endlich: Auch Bremen im Tiefenrausch der 3-D-Illusionsbilder. – Ein Bericht zur Lage

„Sehen Sie“, lächelt die Verkaufsdame milde, „jetzt gucken Sie erst ein bißchen wie dumm, und dann erscheint der Urwald automatisch vor Ihren Augen.“ Doch ihr Kunde sieht den Wald vor Bäumen nicht. Da kann er schielen und dumm gucken, wie er will. Kein Urwald tut sich auf; stattdessen klebt sein starrer Blick an einem Blatt aus braungrünen Farbklecksen und Schlangenlinien. Nichts zu machen: Die Gabe des Sehens ist eben längst nicht allen gegeben – jedenfalls, seit die Erfindung des „Autostereogramms“ sich auf Bilderbuchmarkt ausbreitet. Sieben Titel mit den Wunderbildern, die räumliche Illusionen erzeugen sollen, sind derzeit auf dem Markt, wöchentlich werden es mehr – in den Bremer Kaufhäusern sprechen die Buchhändler von einem „Boom“. Auch, wenn die Erfindung ihre Kundschaft plötzlich in zwei Lager spaltet: Die verzückten 3-D-Gucker und die verzweifelten 3-D-Blinden.

So stehen sie dann z.B. in der Buch- oder Posterabteilung herum: die einen selig lächelnd, Blatt um Blatt in die verborgenen Räume eintauchend; die anderen, die dem Schielkrampf nahe sind, hilflos an der Oberfläche der Bilder paddelnd. Da muß das Verkaufspersonal schon recht einfühlsam helfen und die Kundschaft anleiten. „Zuerst gehen wir mit den Leute die ganze Prozedur einmal durch“, sagt Karstadts Frau Berding. D.h.: Die Leute werden vor dem Bild postiert und dann gehalten, „durch das Bild hindurchzusehen“. „Schauen Sie einfach ins Leere“, empfiehlt der Poster-Hersteller in seiner Gebrauchsanweisung; „nach einiger Zeit erscheint ein völlig klares, virtuelles 3-D-Bild.“ Oder eben auch nicht. „Dann läßt man die Kunden eine Weile alleine“, sagt Frau Berding. Entweder, es klappt dann, was beim ersten Mal so „zwischen 2 Sekunden und 10 Minuten“ dauern kann. Oder sie geben's auf und taumeln klammheimlich davon.

Was den Unglücklichen entgeht, ist allerdings auch auf den zweiten Blick nichts sonderlich Spektakuläres. Die Motive der Stereogramme variieren zwischen herzig naiven Landschaftsbildern („Hidden Rain Forest“, „Crystal Paradise“) und kugelrunden Knuffeltieren (inkl. Dinos natürlich). Die meist salbungsvollen Vorworte der 3-D-Bücher sprechen zwar gern von einer „neuen Kunstform“, die da am Entstehen sei; derzeit aber bewegt sich die Kunst noch auf dem Level aseptischer Computergrafiken.

Gleichviel: Vom ersten in Deutschland erhältlichen Bilderbuch („Das magische Auge“) verkauften sich seit Januar 900.000 Stück; der Nachfolger liegt bei einer halben Million, und den dritten Band hat der im 3-D-Geschäft führende Münchner Verlag „Ars Edition“ vor drei Tagen nachgeschossen. Die Computerbilder kauft man derzeit noch in den USA ein – leider teuer, wie Pressesprecherin Barbara Grabow einräumt. Aber deutsche Grafikstudios rüsteten nach, um den Illusionsmarkt demnächst auch mit heimischen Produkten bedienen zu können.

Vielleicht werden dann nicht mehr allein die Bücherkunden sich mit den Trickbildern herumschlagen dürfen. Denn inzwischen blickt auch die Werbung verzückt auf das neue Verfahren. Einige Firmen, erzählt Frau Grabow, hätten bereits beim Verlag angerufen: „Ob wir nicht Grafiker wüßten, die Firmenlogos in den Bildern verstecken könnten.“ Wer künftig durch seine Zeitschrift einfach hindurchstiert, dem wird möglicherweise eine clever verborgene Mac-Donalds-Anzeige in drei Dimensionen ins Auge springen.

Daß die geballte Wirkung der Illusionsbilder manchen Konsumenten überfordern könnte, glaubt man beim Verlag nicht – im Gegenteil: „Uns schreiben sogar Augenärzte, daß sie die Methode toll finden“ – angeblich soll die 3-D-Augengymnastik ausgerechnet bei der Behandlung von chronischen Schielpatienten helfen. tom