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Antje holt Oskar – Genossen sauer

Die hessische Spitzenkandidatin Antje Vollmer talkt mit Oskar Lafontaine für den bündnisgrünen Wahlkampf / Viel Kongruenz mit wenig rot-grünen Streitpunkten  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Baunatal (taz) – Für den saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine (SPD) leben wir in einer „Fast-food-Gesellschaft“. Und deshalb sei alles „wurstig“ geworden – auch die Politik. „Wurstig“ ging es auch im Vorfeld einer Wahlkampfveranstaltung im nordhessischen Baunatal bei den örtlichen Sozialdemokraten zu. Denn nicht sie, sondern die hessische Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Antje Volmer, hatte Oskar Lafontaine zu einer unikaten Talkshow nach Baunatal geholt. Vor allem Vertreter des Gewerkschaftsflügels der Partei waren stocksauer darüber, daß ihr „Zugpferd“ Oskar Lafontaine ausgerechnet eine Veranstaltung der politischen Konkurrenz bereicherte. Für den eigenen Wahlkampf hatte ihnen die Baracke in Bonn dagegen keinen prominenten Wahlkämpfer in Aussicht gestellt. Denn noch gilt der Wahlkreis Kassel (Stadt und Land) als „sichere Bank“ für die SPD. Erst aus der Zeitung hatte der örtliche Spitzenkandidat, Gerhard Rübenkönig, erfahren, „daß Lafontaine doch kommt – zu den Grünen“.

Doch sehen und hören wollte die grummelnde Basis der nordhessischen SPD, in der noch Tage zuvor dem „Boykott“ der Veranstaltung das Wort geredet wurde, ihren „Oskar“ dann dennoch. Und zur Ermunterung der Sozialdemokraten, die den Weg in die Stadthalle gefunden hatten, präsentierte Lafontaine seine Entertainerqualitäten. Die rund fünfhundert ZuhörerInnen aus dem grünen und dem sozialdemokratischen Lager quittierten die satirischen Einlagen des an seiner „Wahrheitsliebe“ (Lafontaine) gescheiterten Ex-Kanzlerkandidaten mit verschärftem Beifall.

So erledigte Lafontaine beim „Koalitionswahlkampfabend“ gleich noch den Part, den die Veranstalter eigentlich WDR-Moderator Friedrich Küppersbusch zugedacht hatten, der für den Drive der Talkrunde hatte sorgen sollen. Doch dann hatte sich der WDR plötzlich seiner Unabhängigkeit erinnert: Küppersbusch durfte nach einer Intervention seines Intendanten nicht zu der „parteipolitischen Veranstaltung“ kommen. Statt dessen sprang Ex-Pflasterstrand-Redakteur Albert Sellner ein und nutzte die Moderation zur Selbstdarstellung.

Doch auch der Saarländer war an diesem Abend nicht immer nur der souveräne Talker: Zum roten Tuch für Oskar Lafontaine sind offenbar die Medien avanciert – seit die Presse seine angeblichen Beziehungen zum sogenannten Rotlichtviertel der saarländischen Landeshauptstadt thematisierte. Ein „Medienkartell“ versuche heute, den schon fast geschlagenen Kanzler über die Hürden zu heben. Und auch die aktuelle Debatte um eine rot-grüne Koalition in Bonn unter Beteiligung der PDS sei eine „gesteuerte Kampagne des Medienverbundes“, klagte Lafontaine.

Mit der PDS ging dann Antje Vollmer hart ins Gericht. Das „Magdeburger Modell“ sei für Bonn „nicht akzeptabel“. Die PDS predige „uralte Politikmuster“ und „wirft uns politisch um Jahre zurück. Denn die Partei ist nicht bereit, ihren WählerInnen auch bittere Wahrheiten zu verkünden.“ Oskar Lafontaine hingegen ging bei dem Thema, das seit Wochen die SPD zu Dementis zwingt, eher auf Tauchstation. Befragt danach, ob ihm eine große Koalition in Bonn lieber sei als ein von der PDS toleriertes rot-grünes Regierungsbündnis, wollte er dann „doch nicht so blöde sein“, hier in Baunatal über mögliche Konstellationen nach den Wahlen zu reden. Er stehe für eine „bestimmte Politik“. Und da könne sich jede(r) WählerIn selbst ausrechnen, was nach dem 16. Oktober laufen könne – und was nicht. Und was wünscht sich Antje Vollmer für den Wahltag? „Daß die FDP nicht mehr im deutschen Bundestag vertreten ist. Und daß die Bündnisgrünen mit Abstand drittstärkste Kraft im Parlament werden.“

Ansonsten waren – nicht ganz überraschend – die Einschätzungen der beiden WahlkämpferInnen zu den vorgegebenen Themenkomplexen Außenpolitik und Wirtschafts- und Sozialpolitik oft kongruent und nur in Ausnahmefällen, etwa beim Thema Gewerkschaften oder Grundrente tatsächlich konträr. Als sei die Wahl schon gelaufen, die Koalition bereits perfekt, sprach Antje Vollmer schon mal wie selbstverständlich von der „rot-grünen Regierung“.

Vielleicht kommen künftig Koalitionswahlkampfveranstaltungen ja in Mode. Auf jeden Fall schonen sie die Geldbeutel der Parteischatzmeister. Und weil Oskar Lafontaine den BesucherInnen noch die Rolle der „Exponentialfunktion“ bei der modernen (Arbeitslosen-)Statistik erklärte, gingen am Ende alle um eine Erfahrung reicher nach Hause.

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