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„Überraschend unscharfe Kritik“

■ taz-Serie, letzter Teil: Oberbaudirektor Egbert Kossak über neue Qualitäten und alten Sünden

„Es gibt im Grunde keinen Sektor im Hamburger Hochbau, der in seiner Nivellierung nicht einer bedeutenden Korrektur nach oben bedürfe. Allein was heute, wie seit Jahren schon, vor den Fenstern der zuständigen Behörde an Bürohausklötzen entsteht, sollte in seiner städtebaulichen Zuordnung, seinen Proportionen und der architektonischen Qualität jeden im heutigen Bauen halbwegs Ahnungsvollen erbleichen lassen...

...Es ist uns unverständlich, daß sich gegen diesen unhaltbaren Zustand die namhaften Architekten unserer Stadt noch nicht aufgelehnt haben. Wahrscheinlich jedoch hindert sie die starke Abhängigkeit vom Wohlwollen der Behörden und die akute Überbeschäftigung mit dem planvoll planlosen verstreuen von Bürohauskuben und rotklinkernen Wohnhausschachteln über unsere Stadt.

Wir möchten dafür eintreten, städtebauliche Probleme der Öffentlichkeit nicht erst in ihrer Endlösung vorzulegen, sondern diese schon in ihren Ansätzen zur Diskussion zu stellen und in stärkerem Maße namhafte Architekten des In- und Auslandes für die Lösung dieser Probleme heranzuziehen.“

Richtig so, werden Sie sagen. Warum nicht gleich so deutlich. Sie stutzen? Zu Recht. Die Zeilen stammen nicht aus der Feder junger Architekten im Jahr 1994. Sie standen – als Leserbrief – im April 1961 in der Welt. Verfasser: der heutige Oberbaudirektor.

Die aktuelle Kritik fällt gegen 1961 überraschend unscharf aus. Damals ging es – wie heute – nur vordergründig um die Qualität der Architektur. Im Mittelpunkt stand die Kritik an der Ideen- und Gedankenlosigkeit gegenüber dem Phänomen Stadt. Es gab kein politisches Credo, keine Vision vom Sozial- und Wirtschaftsraum Großstadt Hamburg. Die Stadtplanung vollzog das Konzept der aufgelockerten und gegliederten Stadt, wie es Konstanty Gutschow im Dritten Reich für Hamburg vorgezeichnet hatte.

City: Brutalisierung der Gesichtslosigkeit

Bis auf den engen Raum um die Binnenalster war die Identität der Hamburger Innenstadt gründlich gestört, eher zerstört. Platz- und Straßendimensionen wurden aufgegeben. Maßstäblichkeit und Architekturtraditionen waren in Vergessenheit geraten. Nur zwei, drei Bauten in der Hamburger Innenstadt, nach 1950 entstanden, hatten die Qualität, um über die Stadt hinaus Erwähnung zu finden, aber ihnen fehlte der stadträumliche Kontext. Die sechziger und siebziger Jahre änderten wenig daran. In mancher Hinsicht „brutalisierten“ sie die Gesichtslosigkeit der Innenstadt und des Wohnungsbaues weiter, zu weit.

In den 80er Jahren ist der Versuch gemacht worden, die ärgsten Mängel zu beseitigen. Die Innenstadt sollte wieder in ihrer architektonischen Identität gestärkt und städtebaulich repariert werden. Der Wohnungsbau sollte auf ein menschenverträgliches Milieu ausgerichtet werden. Vieles ist sicher gelungen, einiges nicht.

Die Ost-West-Straße ist nicht reparabel

Niemand wird bestreiten können, daß die Innenstadt stadträumlich und funktional neue Qualitäten gewonnen, alte teilweise zurückgewonnen hat. Auch architektonisch ist ein Maß an Harmonie erreicht worden, das kaum eine andere europäische Großstadt aus den letzten zwei Jahrzehnten aufweisen kann. Richtig ist, daß die international beachteten Highlights fehlen.Wenn auch vieles in der City in eine räumliche Harmonie gebracht worden ist, die Ost-West-Straße war nicht reparabel. Sie müßte nach Bau der Hafenquerspange und Sperrung der City und der Cityrandgebiete für den Schwerlastverkehr grundsätzlich zurückgebaut werden. Vierspuriger Boulevard ist das Stichwort.

Spießiger Wohnungsbau

Auch der Wohnungsbau hat städtebaulich Verbesserungen erfahren. Es ist aber nicht gelungen, trotz hoher öffentlicher Förderung vieler tausend Wohnungen jährlich auf größtenteils städtischen Flächen, den Wohnungsbau funktionell und in seiner architektonischen Qualität auf die Bedürfnisse der Zukunft einzustellen. Der Wohnungsbau in Hamburg ist und bleibt auf hohem bautechnischen Niveau spießig und rückwärtsgewandt. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt etliche, aber zu wenige.

Aber die aktuelle Kritik der jüngeren Architekten greift weiter. Zu Recht. Es fehlt auch heute noch die politische Vision für die Stadt in der „Nach 2000 Welt“. Sie fehlt auf allen politischen Flügeln. Ob Mitte-Rechts-Lager oder linke alternative Grüne, beschworen wird gleichermaßen das alte Bild der Stadt. Man ist politisch fixiert auf das was da ist: das Milieu in Ottensen, die Häuschen im Grünen in Bramfeld, die Wiesen in den Walddörfern, der Großmarkt in der Innenstadt, der Kleingarten an der Alster oder der Bille.

Die Avantgarde wohnt im Eppendorfer Gründerzeitgeschoßbau, zur Miete oder schon „im Eigentum“ und schreibt so manchen Wohnraum teilgewerblich ab.

Auf großen Teilen der Stadt liegen Tabus. Da bleibt für die Entwicklungszwänge nur die weitere Erschließung noch freier Landschaftsräume. Die Bewältigung der Wachstumsprobleme, die Minderung der Wohnungsnot, die Schaffung neuer Arbeitsstätten nur durch weiteren Landverbrauch ist aber ökologisch kaum noch vertretbar und stadtwirtschaftlich unsinnig. Hamburg ist die am dünnsten besiedelte Millionenstadt der Erde. Keinem Großstadtbürger der Welt stehen soviel Freiflächen, Parks, Gartenanlagen zur Verfügung wie den Hamburgern. Selbst die Größe der Kleingärten übertrifft in Hamburg im Durchschnitt den im Bundeskleingartengesetz festgesetzten Höchstwert um fast 25%.

Es darf kein Zweifel daran bestehen: Die Stadt muß sich endlich wieder nach innen entwickeln. Sie muß alle Chancen nutzen, die die niedrige Ausnutzung mit niedrigen Gebäudehöhen und vielen Flächenreserven, seien sie brachgefallen, untergenutzt, fehlgenutzt in bezug auf ihre Lage und Erschließungsqualität bieten.

Raum für Ungeplantes und Unperfektes

Eine „verdichtete“ Stadt (ohne neue Hochhäuser) wird nicht nur den Hamburger Haushalt entlasten, den ÖPNV-Betrieb wirtschaftlicher machen, ökologisch vernünftig sein, sondern sie wird auch neue Chancen für die Baukultur bieten und die Reintegration der heute noch weitgehend isolierten Funktionen Arbeiten und Wohnen fördern. Das läßt noch genügend Freiraum für Nischen und Brüche, für Ungeplantes, Altgewordenes, Unperfektes. Dies alles braucht eine große Stadt, wie eine bewußte Multikulturalität, viertelspezifische Sozialmilieus und Bereiche mit schützenswerten städtebaulichen und architektonischen Eigenarten.

Nischen dulden erfordert Toleranz

Nischen dulden und fördern setzt Toleranz voraus. Toleranz als Wesenszug der Stadtbürger und ihrer Repräsentanten macht den Schritt von der Kleinbürgerstadt zur Metropole aus.

Wir stehen vor einer fast revolutionären Umwälzung des „Systems Arbeit“. Das kommt einer neuen Nachbarschaft von Arbeitsplatz und Wohnen entgegen. Wir werden ein ganz neues System städtischer Transportlogistik finden müssen. Der Schwerlastverkehr ist nicht nur auf den Straßen unserer Städte unerträglich geworden.

Wir müssen auch das Bauen wieder zurückführen auf eine wirksame Rollenwahrnehmung von Bauherren, Architekten, Ingenieuren und Bauhandwerk. Für sogenannte „Generalplaner, Generalunternehmer“ und abkassierende „Entwickler“ sollte im Interesse eines kosten- und qualitätsbewußten Planungs- und Bauprozesses zumindest in allem staatlich und kommunal beeinflußbaren Bauen kein Platz mehr sein.

Mehr noch schaden etliche Groß- und Kleinbanken durch ihr gezieltes Anheizen der Boden- und Immobilienspekulation. Die Finanzierung von drastisch überhöhten Preisen bei Immobiliengeschäften schädigt die Wirtschaft und den Bürger der Stadt. Hier ist zwar nicht Baukultur, sondern Kultur im Sinne der Wahrnehmung von Verantwortung gegenüber der Stadtgesellschaft von den „Herren im Nadelstreifen“ drastisch einzufordern.

Das politische Ziel einer sozial gerechten Stadt bleibt hohle Phrase, ohne sozial gerechte und auch der Stadtwirtschaft nützende Boden- und Immobilienpolitik. Hierüber ist Stadtdialog so wichtig wie über die Baukultur der Stadt.

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