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Glamour und totes Deckhaar

Mit einer echten Gräfin im bundesweit einzigen Terrier-Salon oder: Warum die Ohren von Beverly unbedingt freigelegt werden müssen  ■ Von Thorsten Schmitz

Pünktlich um zehn erscheint die Gräfin mit Beverly. Ihr Gärtner hat beide von Dahlem nach Schöneberg zum Friseur in die Martin- Luther-Straße 111 gefahren. Der Gärtner wartet vor der Tür, ein enger Freund der Gräfin nimmt, stets zu Diensten, neben ihr Platz.

Beverly kam an einem 16. Januar in Potsdam zur Welt und hat etwas weniger als 1.500 Mark gekostet. Die Gräfin ist seit fast einem Jahrhundert auf den Beinen und war zeitweise mit dem Bruder des schwedischen Königs vermählt. „Nennen Sie ja nicht meinen Namen“, bestimmt sie. Nach dem exakten Alter zu fragen erübrigt sich. Seit frühester Kindheit besitzt die Adelsdame Terrier. Ohne diese Hunde könnte sie nicht leben. „So hat man immer etwas zu tun“, sagt sie. Weil sie lange in Los Angeles' Ziergarten Beverly Hills zugebracht hat, verpaßte sie ihrem schlohweißen West-Highland-Terrier (Fachleute nennen solche Tiere „Westie“) ein bißchen von dem Glamour, den sie dort gewohnt war. Und außerdem ist Beverly ein in Amerika weit verbreiteter Mädchenname.

Rainer vom Scheidt, so heißt der Friseur, bittet Beethoven, so heißt sein Westie, ins Körbchen. Beverly hängt er an einen galgenähnlichen Strick, der an einer Art Friseurstuhl befestigt ist. Alle fünf Minuten drückt er den Hund aus gutem Hause in die richtige Position. Beverly zittert wie Espenlaub – das sei normal. Die halbe Portion Hundeweib ist so verhuscht, daß sie am frühen Morgen kein großes Geschäft zuwege gebracht hat. Nur Pipi. Gestern abend, sagt die Gräfin, habe Beverly noch gekonnt.

Rainer vom Scheidt, er führt bundesweit den einzigen Terrier- Salon, trimmt Beverly per Hand, bis sie wie gelähmt dasteht. „Brav bist du, mein Kind“, entzückt sich die Gräfin. Mit einem Trimmesser und sanftem Durchsetzungsvermögen befreit vom Scheidt den exquisiten Vierbeiner vom toten Deckhaar. Wenn Beverly nicht alle zwei Monate zum Friseur ginge – immer oben kurz, unten lang – würde sie nach jedem Regenguß „wie ein geplatztes Kopfkissen“ rumlaufen. Alle sechs bis acht Wochen holt ein Autoliebhaber die Berge ungewaschenen Terrierdeckhaars ab. In Säckchen gestopft, hängt er es in seinen Motorraum, um die Marder vom Nagen abzuhalten.

Inklusive Maniküre berechnet der gelernte Handwerker für die zweistündige Sitzung 80 Mark. Die Gräfin gibt ihm 130 aus ihrer goldfarbenen Geldbörse. Vielleicht wegen der ungeteilten Aufmerksamkeit des Coiffeurs für Beverlys Werdegang. Wenn Beverly läufig ist, hinterläßt sie überall ihren hartnäckigen Ausfluß. Gott, die kostbaren Perserbrücken. Die Gräfin fragt: „Haben Sie solche Höschen?“ „Ja“, sagt vom Scheidt, „die kann ich Ihnen aber nicht empfehlen.“ Von solchen Höschen hält vom Scheidt gar nichts: „Wissen Sie, die kleben alles zu. Da kommt ja gar keine Luft mehr dran.“ Die Gräfin sagt „ach so“ und versucht sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, Beverly sterilisieren zu lassen.

Beverly hockt wie eine Ikone auf dem Friseurtableau. „Wie ein Steiftier“, sagt der Freund der Gräfin. Sowieso muß die Inspektion eines Terriers zum täglichen Geschäft der Halter gehören: „Sie sollten jeden Tag Ihren Hund befummeln und begucken“, sagt vom Scheidt, „und zweimal im Jahr baden.“ Diesen Vorgang bezeichnet er als „Unterbodenwäsche“.

Jenseits von Inspektion und Unterbodenwäsche hält vom Scheidt all das parat, was das Hundeleben abrundet. Zahnpasta- und bürste, Schokodrops, „Kitlit“ („Die optimale Ganz-Jahres-Liege“), Ultraspurenelemente (mit Arsen, Lithium, Bor, Brom), Augenwasser „Diamant“ (für „strahlende Augen“), schnittige Kappen mit Sonnenblende (vom Scheidt: „Die kaufen Frauen, wenn sie im Cabrio mit ihren Hunden zu einer Geburtstagsfeier fahren“), schwarzweiß karierte Kopfkissen („I love my Scottie“), Seefischriegel und Geflügelhappen. Für den Hunger zwischendurch.

Viele Waren kommen aus Amerika. Die Ostereier, Regenschirme und Platzdecken hat eine Hobbymalerin mit dem immergleichen Motiv bedruckt: Westie vor Maiglöckchen. Den Abschluß der Wiedergutmachung bildet das Freilegen von Beverlys Ohren. Die sind für das Erscheinungsbild eines Terriers von unermeßlichem Wert. „Die Ohren müssen stehen“, sagt Rainer vom Scheidt. „Die sind der Ausdruck des Hundes.“

Als die Gräfin ihr poliertes Schmuckstück wieder in Empfang nimmt, sagt sie: „Unsere gute Beverly, so ein braves Kind!“ Und läßt ihr Wasser und einen Keks reichen, wegen all der Pein. Aber Beverly schnüffelt lieber an Beethovens Allerwertestem. Die beiden mögen sich.

Der Freund der Gräfin kann sich mit Beverlys Schnitt nicht recht anfreunden: „Jetzt brauchen wir ein Mäntelchen, das arme nackte Kind!“ Überhaupt findet er Beverlys Frisur zu kurz, besonders an ihrer exponiertesten Stelle: „Och“, seufzt er betrübt, „der ist wieder viel zu dünn!“ Er meint Beverlys Schwanz.

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