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Die Tränke der märkischen Weltstadt

„Der Stoff, aus dem Berlin gemacht ist“ – eine taz-Reihe (Teil 4): In Friedrichshagen steht eines der ältesten Wasserwerke der Stadt / Idylle zwischen Rekonstruktion und Verfall  ■ Von Katrin Bettina Müller

Daß sich mit dem Wasser schon immer Politik und Geschäfte machen ließen, beweisen im Museum der Berliner Wasserbetriebe in Friedrichshagen die Dokumente zur Geschichte des ersten Berliner Wasserwerks am Stralauer Tor. Von diesem ist nur eine silberne Plakette übriggeblieben: „Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen befahl im Jahr 1852 mit Sir Charles Fox und Thomas Russell Crampton aus London einen Contract abzuschließen“, der die Engländer mit der Wasserversorgung der Haushalte, Brunnen und des Löschwassers für Berlin beauftragte.

Der Monarch hatte erst durch seinen Polizeipräsidenten und Saufkumpan Hinckeldey zu dem Vertrag gedrängt werden müssen. Hinckeldey war die Verantwortung für die zum Himmel stinkenden Berliner Rinnsteine zugeschoben worden, die gefährliche Krankheitsherde bargen. Allein neun Cholera-Epidemien wüteten zwischen 1831 und 1870 in der Stadt.

Als um 1860 das Köpenicker Feld bebaut wurde, erhielten die neuen Häuser erstmals Wasserleitungen in alle Stockwerke. Der anfangs zögerliche Anschluß an das Rohrnetz rentierte sich für die „Berlin Waterworks Company“ bald: Bis 1867 stieg der Prokopfverbrauch des Wassers von 15 auf 100 Liter täglich. Aber das hygienische Problem der Kloaken steigerte sich mit dem erhöhten Wasserverbrauch, und das Sprichwort: „Die Spree betritt Berlin als ein Schwan und verläßt es als ein Schwein“ verlor seine Gültigkeit nicht. Erst nach der Übernahme der Wasserwerke durch den Staat 1873 arbeitete James Hobrecht ein Radialsystem von Kanälen aus, um die Abwässer auf die Rieselfelder zu pumpen.

Mit den englischen Wassertechnikern kam Henry Gill nach Berlin. Er konzipierte 1887 das 3. Wasserwerk von Berlin-Friedrichshagen am Müggelsee, heute die älteste Anlage. „Er verlieh den Ziegelbauten des großen Pumpwerkes, das die märkische Weltstadt tränken hilft, den äußeren Aufputz einer ehrwürdigen Abtei. Umsonst, denn die roten qualmenden Schlote ließen sich nicht in den Abteistil zwingen“, kommentierte der Schriftsteller Wilhelm Bölsche den Einbruch der Großstadt in die ländliche Idylle. Tatsächlich qualmten die Schlote noch bis 1979 im pseudogotischen Ambiente. Erst dann wurden die Schöpfmaschinen und Pumpstationen elektrifiziert.

Damals wie heute liegen die drei Schöpfmaschinenhäuser zinnenbewehrt, mit Rosetten verziert und von spitzen Bogenfenstern durchbrochen am See. Im mittleren Haus residiert seit 1987 ein Museum der Wassertechnik. Über den rotweiß gekachelten Fußboden ragen die Antriebsräder der hohen Dampfmaschinen von 1893, von denen eine mit der Kraft von „5 Trabant“ vor staunenden Schulklassen losrattert. Über einen Holzkanal, der 120 Meter in den Müggelsee reichte, förderte sie einst 1.500 Kubikmeter Wasser in der Stunde.

55 Hektar Uferwald verschlang das Werk, das Gill für eine Kapazität von 172.800 Kubikmetern Wasser am Tag geplant hatte – verglichen mit der heutigen Kapazität von 320.000 Kubikmetern eine vorausschauende Berechnung. In den Gewölben der Langsamsandfilter sickerte das Wasser über Schichten aus Steinen, Kiesel und Sand. Den nassen Sand wegzukarren und auszutauschen war Schwerstarbeit im 12-Stunden- Dienst. Über eine Druckrohrleitung gelangte das Naß in das Zwischenpumpwerk Lichtenberg, um von dort in die Stadt verteilt zu werden. Schon 1899 hatte die Verschmutzung des Oberflächenwassers so zugenommen, daß man mit dem Umbau zur Grundwasseraufbereitung begann. Drei Galerien mit 350 Brunnen wurden angelegt. Zwischen die Maschinenhäuser und die Filter schoben sich die hohen Riegel der „Rieseler“, in denen das Wasser über aufgestapelte Ziegelsteine lief, um belüftet und von Eisen befreit zu werden.

Das betriebseigene Museum nutzt nur einen kleinen Teil der weitläufigen Anlage, die in den nächsten Jahren einen der Rieseler und ein Segment der Langsamsandfilter einbeziehen will, um den früheren kompletten Funktionsvorgang nachzuspielen. Nachnutzungen zu finden, die den Ansprüchen von Wasser- und Denkmalschutz gerecht werden, ist nicht einfach. Einen Interessenten für die alten Gewölbe der Filter und die Rieseler, die zur Zeit in ihrem baulichen Bestand gesichert werden, gibt es: Die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz würden hier gern das Museum für Volkskunde unterbringen und zu einem Museum europäischer Kulturen erweitern. Doch ein Finanzierungskonzept für Sanierung und Umbau fehlt noch.

Die jetzige Idylle zwischen Rekonstruktion und Verfall, von Lauben und restaurierten Werkswohnungen gerahmt, läßt kaum ahnen, daß die Wasserbetriebe wenige Meter entfernt weiterarbeiten. Wenn auch seit 1991 auf die Entnahme von Oberflächenwasser verzichtet wird, so verlaufen doch noch immer die Galerien der Grundwasserbrunnen am Ufer. In Schnellfilteranlagen, die 1979 und 1983 gebaut wurden, werden täglich im Schnitt 134.000 Kubikmeter Wasser für die Versorgung aufbereitet: Das entspricht einem Fünftel des Berliner Bedarfs.

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