: Ein Schiff wird kommen...
Radeln entlang der Altmühl am ungleichen Ober- und Unterlauf. Wo sich die grüne Idylle in Beton und grader Wasserführung verliert ■ Von Ralf Köpke
Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß – das wissen zumindest Cineasten seit der gleichnamigen französischen Komödie. Wie ruhig ein Fluß dahinplätschern kann, erleben jedes Jahr immer mehr Radfahrer, die entlang der Altmühl radeln. Auf der Frankenhöhe in der Nähe von Rothenburg ob der Tauber entspringt der „langsamste Fluß Bayerns“ und mündet nach knapp 220 Kilometern und ungezählten Schleifen bei Kelheim in die Donau. Ruhig, um das vorwegzunehmen, plätschert die meist nicht einmal knietiefe Altmühl nur noch zwischen Treuchtlingen und Beilngries dahin. Danach ist der Wasserlauf – betoniert, begradigt und vertieft – Teil des Rhein-Main- Donau-Kanals, des „dümmsten Bauprojektes seit dem Turmbau zu Babel“. Diese Einschätzung äußerte immerhin der frühere Bundesverkehrsminister Volker Hauff.
Überhaupt ist die Altmühl ein abschreckendes Beispiel für Eingriffe in die Natur: Denn gleich drei Bauversuche, eine schiffbare Verbindung zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer zu schaffen, kann man während der Tour „bewundern“. Das beginnt bei Graben in der Nähe von Treuchtlingen: Die Fossa Carolina (Karlsgraben), eine etwa 500 Meter lange Wasserfläche mit sich daran anschließenden Erdwällen, erinnert an Karl den Großen und sein gescheitertes Vorhaben aus dem Jahr 793 (!).
Daß sich Treuchtlingen heute gerne als „Pforte zum Altmühltal“ sieht, macht durchaus Sinn, denn ab dort beginnt die landschaftlich reizvollste Etappe für die Radler: Auf gut ausgebauten und markierten Wegen, abseits von befahrenen Straßen, geht es meist parallel an der Altmühl entlang.
Die naturbelassene Landschaft wird durch einige touristische Schmankerl am Rande der Route garniert. So ist in Solnhofen im Bürgermeister-Müller-Museum ein Exemplar des Flugsauriers Archäopteryx, dem Urvogel, zu bestaunen. Durch das Urdonautal zwischen Dollnstein und Renntershofen schnauft eine Museumsbahn (mit einem Gepäckwagen für Fahrräder), die schon während des Kaiserreiches die 21 Kilometer lange Strecke befahren hat.
Wer ein Faible für barocke Kirchen hat, für den ist ein Halt in Eichstätt, der heimlichen Hauptstadt des Altmühltals, ein Muß. Mit dem Dom sowie den über fünfzig Kirchen und Kapellen ist die 15.000 Einwohner große Bischofs- und Universitätsstadt ein Stück lebendiger Kirchenarchitektur. Ohnehin ist Eichstätt längst zu einem kleinen „Mekka“ für Architekten geworden, da dem Diözesebaumeister Karl Josef Schattner mit seinen Neuerungen eine in Fachkreisen oft bewunderte Verbindung zwischen Klassik und Moderne gelungen ist.
Vor allem die Altmühl selbst ist in Eichstätt bei jedem Pedaltritt einen Blick wert. Denn der Fluß ist an beiden Ufern üppig mit natürlichem Grün gesäumt. Ein Anblick, der im Gedächtnis bleibt. Denn nach Eichstätt führt der Radweg bis weit hinter Kipfenberg abseits der Altmühl entlang. Auch im 42 Kilometer von Eichstätt entfernt liegenden Beilngries folgt der Radweg nicht dem Flußlauf, so daß die Velopedisten die Veränderung der Wasserstrecke noch nicht sofort wahrnehmen. Allenfalls Hinweisschilder, wie die zum Yachtclub Beilngries, lassen erahnen, daß der Rhein-Main-Donau-Kanal hier Wirklichkeit geworden ist. Spätestens ab Dietfurt, da wo früher der Unterlauf der Altmühl begann, ist die 4,7 Milliarden teure „Wasserautobahn“, die im Herbst 1992 offiziell eingeweiht worden ist, dann unübersehbar: Aus dem Flüßchen ist ein breiter Graben geworden. Nicht nur die Betonrinne, die in die sanfte Hügellandschaft geschlagen wurde, wirkt künstlich. Auch die sogenannten ökologischen Ausgleichsmaßnahmen, die die Rhein- Main-Donau AG für 10 Prozent der Baukosten formen ließ, wirken wie ein Fremdkörper.
Oder soll man besser sagen: wirken noch wie ein Fremdkörper? Denn der bekannte Nürnberger Landschaftsplaner Reinhard Grebe begrünte nicht nur die Randstreifen des Kanals, sondern bezog den gesamten Talraum in seine Umbauten ein. So bewahrte er beispielsweise Altwässer und Nebenarme, schüttete Inseln auf für „Stillwasserbereiche“, um Brut- und Laichplätze vor dem Wellenschlag der Schiffe zu verschonen. Mit insgesamt 93 Millionen Kubikmetern Erdaushub des gesamten Kanals schuf Grebe eine komplette Ersatzlandschaft. „All das sind Blumensträuße auf dem Leichensarg der Natur. Aus einem Fließgewässer ist ein toter Stausee geworden“, so Hubert Weiger vom Bund Naturschutz in Bayern über die geschönte Flußlandschaft.
An die Radfahrer ist bei den Umgestaltungsarbeiten anscheinend sehr oft gedacht worden: Kilometerweise erstrecken sich an beiden Kanalufern zweispurige Radwege. So vergehen die knapp 15 Kilometer zwischen Dietfurt und Riedenburg fast im Flug. Dort wo früher die Altmühl gemütlich durch den kleinen Ort strömte, trennt jetzt die Kanalschlucht die beiden Stadthälften. Wie der Kanal Landschaft und Städte verändert hat, zeigt das Beispiel Riedenburg in abschreckender Weise. Aufgesetzt und aufgepeppt wirkt die etwa 200 Meter lange aufgepflasterte Kanalpromenade mit ihrer Anlegestelle für die Ausflugsschiffe, die den Kanal in Richtung Kelheim und zum Donaudurchbruch in der Nähe des Klosters Weltenburg befahren.
Das „Geläuf“ für die Radler bleibt bis Kelheim, wo die Altmühl einst ein Stück hinter der Stadt in die Donau überging, gut ausgebaut und beschildert – ein Genuß im Vergleich zum Donau-Radweg, der sich bei Regensburg in Richtung Passau und Wien anschließt. Nur auf eines muß der Radler auf dem Kanalabschnitt zwischen Dietfurt und Kelheim verzichten: auf den Anblick vorbeifahrender Schiffe. Statt, wie erwartet, vierzehn, dann zehn, schließlich sieben Millionen Tonnen Frachtaufkommen, passierten im ersten Betriebsjahr gerade einmal 4,7 Millionen Tonnen Schiffsfracht den Kanal. Damit dürfte das Lieblingslied aller Radler, die an der Altmühl beziehungsweise am Kanal entlang radeln, jetzt schon feststehen: „Ein Schiff wird kommen...“
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