■ Tour d'Europe: Fleischbeschau
Das Zeigen menschlichen Fleisches in der Öffentlichkeit ist in den wenigsten europäischen Ländern explizit verboten: Meist versteckt sich die Sittenwacht hinter Gummiparagraphen wie „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ oder „Störung des Friedens“ (GB), wobei die Ordnungshüter meist nur tätig werden, wenn sich ein Mitbürger über einen anderen beschwert. In Spanien, wo in den sechziger Jahren noch die Guardia Civil gegen allzugroße Freizügigkeit vorging, wurde das Gesetz zur „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ abgeschafft. An die Strände kann sich im Prinzip jeder legen, wie er will, oben-ohne ist fast überall üblich. Nudisten legen sich meist etwas abseits. Um „der Atmosphäre des Orts gerecht zu werden“, greifen allerdings einzelne Gemeinden zu Kleiderordnungen.
In Schweden gibt es keinen Straftatbestand bezüglich Nacktheit; als öffentliches Ärgernis wird eher Pinkeln im Freien oder öffentliches Alkoholtrinken angesehen. Auch im bislang so prüden Rußland will man von Regeln nicht viel wissen: „Wie Sie herumlaufen, das ist doch Ihre Sache. Bei uns sind schon Leute nackt über den Arbat (stadtbekannte Fußgängerzone) gelaufen“, heißt es in einer Abteilung des Innenministeriums in Moskau. Allerdings: „Wenn Sie persönlich so herumlaufen, dann werden sich vielleicht so ein- bis zweitausend Leute versammeln. Und wenn die sich versammeln, dann blockiert das den Verkehr und ist schon ein öffentliches Ärgernis.“ Auch die Briten haben allzugroßer Offenheit keinen eigenen Gesetzestext gewidmet: Sie vertrauen auf das kalte Klima. Es scheint zu funktionieren: Britinnen haben offensichtlich keine Neigung, auch nur das Oberteil des Bikinis abzulegen. Falls jemand doch mal zu weit geht und sich jemand beschwert, kann gleichwohl die Polizei eingreifen.
Am rigidesten in Sachen Fleischbeschau sind erstaunlicherweise die Italiener: Allzugroße Nacktheit kann als „atto di libidine in pubblico“ bestraft werden, Strafandrohung bis zu einem Jahr Gefängnis. Es handelt sich dabei nicht um ein bloßes Antragsdelikt, das heißt es wird nicht nur dann verfolgt, wenn ein anwesender Bürger Anstoß nimmt, sondern muß gerichtlich bearbeitet werden, wenn ein Staatsanwalt oder Polizist auf irgendeine Weise davon erfährt (etwa durch eine anonyme Anzeige). Das italienische Kassationsgericht hat präzise Regeln festgelegt. Die wichtigsten davon lauten: 1. Frauen und Männer sind gleichberechtigt, also dürfen dort, wo Männer topless gehen, auch Frauen ihre Oberteile ablegen. 2. Gemeindeverwaltungen, aber auch Private auf ihrem eigenen Grund und Boden dürfen jedoch Vorschriften erlassen, die zu einer gewissen Kleiderordnung zwingen, und Strafen gegen Übertretung verhängen. Das kann recht weit führen: einzelne Geschäfte verlangen nicht nur irgendein Oberteil, sondern auch die Bedeckung des Rückens, in Venedig sind Unterhemden als nicht ausreichend angesehen, es muß schon ein Hemd oder T-Shirt sein.-ant-
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