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Kreuzkruzifix!

Über die Zweckentfremdung überflüssiger Kirchen in London  ■ Von Tom Levine und Christian Nialki (Fotos)

The Queen“, der Gedanke liegt nahe, „wouldn't be amused“: Im kühlen Kirchenschiff der St. Saviours Church im Londoner Stadtteil Islington steht eine junge Frau im Lampenlicht, mit Blick auf den Altar und ganz und gar unbekleidet. Ziemlich ungewöhnliche Zustände für ein Gotteshaus.

Und doch könnte Ihre Majestät, Hausherrin in allen anglikanischen Kirchen, einstweilen beruhigt werden. Hier geht alles seinen ganz normalen Gang. Aktmodelle sind schließlich nichts Besonderes in einem Künstleratelier, und nichts anderes ist – heute – St. Saviours. Das aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammende Gebäude ist nur eines von zahlreichen viktorianischen Kirchenbauten, denen die harte ökonomische Wirklichkeit in Großbritannien eine neue, andere Nutzung beschert hat.

Im Vereinigten Königreich gehören die „überflüssigen Kirchen“ wie der Fachausdruck heißt, lange zum Alltag. Jedes zwölfte Gotteshaus der anglikanischen Staatskirche ist seit 1969 von seiner Gemeinde aufgegeben worden. Bei den kleineren protestantischen oder der katholischen Kirche sieht es nicht viel besser aus. Schuld ist die prekäre Finanzlage: Die Christengemeinden im Vereinigten Königreich sind vollends auf die Barmherzigkeit ihrer eigenen Schäfchen angewiesen, eine zentrale Kirchensteuer gibt es nicht. Hinzu kommt, daß die Herde, die nach der Sonntagsmesse den Klingelbeutel füllt, kleiner geworden ist. Und wenn auch kein Pastor mehr darben muß in den Zeiten des Tarifvertrages, so wird doch bittere Sparsamkeit gepredigt. „Seit Anfang der siebziger Jahre werden in großem Stile die kleiner werdenden Gemeinden neu zusammengefaßt, wenn sie unwirtschaftlich geworden sind“, erzählt Sebastian Coe.

Coe ist Kirchenverkäufer: Der Mann, dessen distinguierte Goldrandbrille und feines englisches Tuch einen angemessenen Konservatismus verbreiten, ist als Immobilienverkäufer für die Londoner anglikanische Diözese unter Vertrag. Auf Anfrage legt er prompt ein Dutzend noch erhältlicher Sakralbauten vor – zwischen einer und vier Millionen Mark sind in der Regel anzulegen. Renovierungskosten exklusive.

Die sind meist so exorbitant, daß Coes Kundenkreis ein reichlich exklusiver ist. St. Saviours etwa ist für wenig Geld von einer Kunststiftung gepachtet worden, die Renovierung bezahlte der englische Denkmalschutz. Das kleine „Beifry“ in Belgravia, ein ähnlich schöner Kirchenbau, der einst als schottisch-presbyterianische Kirche für Dienstleute diente, ist schon vor Jahrzehnten von einem exzentrischen Millionärspärchen umgebaut worden und beherbergt heute standesgemäß das Nobelrestaurant „Mosimann's“. Jenes ist dermaßen exklusiv, daß man erst einmal einen Jahresbeitrag von 500 Pfund zahlen muß, bevor man überhaupt einen Blick in die Speisekarte werfen kann.

Mit der speziellen Aura der ehemaligen Kirchen wird gewuchert, ganz gleich, ob sie nun – in Stockwerke unterteilt und innen völlig verändert – als Wohnhaus oder als Großraumbüro dienen, wie etwa die gregorianische Christuskirche an der Cosway Street. Der göttliche Segen hängt aber nicht nur über Küchenzeilen oder Computertischen, auch – etwas schiefer – durchs Disko-Dunkel soll er dringen. Wer noch nie in einer Kirche Pogo tanzte, im Londoner „Limelight“ kann er es tun.

Allerdings haben die anglikanischen Gemeinden ein Mitbestimmungsrecht, wenn es um die Weiternutzung ihrer alten Gotteshäuser geht. Und da wird schon darauf geachtet, daß es nicht allzu unzüchtig zugehen wird im einstigen Altargemach. So manche Kirche bleibt sogar „geweiht“ wie etwa St. Saviours, das Künstlerhaus. Dort könnte morgen schon wieder gepredigt werden.

In die Methodistenkirche an der Jackson's Lane im vornehmen Stadtteil Highgate ist ein Kommunikationszentrum eingezogen. Die Cafeteria im unteren Stockwerk bietet vegetarische Küche. Oben jedoch, wo einst der Gemeindechor keusch frohlockte, turnt schwungvoll eine Seniorengruppe zu fetzigen Aerobicrhythmen, daß der blaue Basketballkorb vor neugotischen Bleisprossenfenstern erbebt. Die Alten tragen die Erinnerungen an die Kirche noch in sich, an tränenreiche Hochzeiten und fröhliche Feste, an den majestätischen Altar und die schnörkeligen Predigten. Daß nun aus ihrer Zufluchtsstätte ein Turntempel geworden ist, stört keinen. „Das macht doch nichts“, keucht der 77jährigen Phillis atemlos in einer Jazz-dance-Pause, „so wird der Bau seinem alten Zweck gerecht: Er bringt die Menschen zusammen.“

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