: Kampf um die „Kiese“
■ Für den Spaß, die Libelle oder Herrn Knübel? Schluß mit lustig für den Tarmstedter Baggersee
Mit leisem Knirschen verabschiedeten sich das Zelt und ein drinnen liegender Kassettenrekorder – die riesigen Pneus des Radladers hatten die Campingidylle plattgemacht. Otto Meister hoch auf dem Bock hatte Rot gesehen. Und wenn da noch jemand drin gelegen hätte? „Das war mir egal – wenn die mit Keulen kommen!“
„Die“ – das waren fünf Halbwüchsige aus Bremen und Worpswede, die Köpfe voller autonomer Ideen, die Hände voller Baseball-Schläger. Otto gegen die Fünf – das markierte vor einigen Wochen den Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den Tarmstedter Baggersee, einen ausgesprochen beliebten Treffpunkt Sonnenhungriger vor den Toren Bremens. 1.000 waren es manchmal, so erzählt man sich in Tarmstedt, die der Jahrhundertsommer am Wochenende in die „Kiese“, die Kiesgrube mit ihren feinen Sandstränden und dem frischen klaren Wasser lockte. Viele, empfanden den Platz als Paradies. Nackt sein, Schlammbaden, Haschisch qualmen, Liebe im Gebüsch, Hardrock mit Bier bei Nacht – eine Nische gerade für Jugendliche. Ohne Bade- und andere Meister. Nur mit Otto Meister.
Der Haken am Idyll: Baden war und ist am Tarmstedter Baggersee verboten. Der Sandabbau liegt in einem Landschaftsschutzgebiet. Zwölf Jahre lang duldete der Eigentümer, das „Kies- und Mörtelwerk Knübel“, das illegale Spaßbad. Jetzt bekam Erwin Kübel (Osterholz-Scharmbeck) Druck: Die zuständige Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Rotenburg/Wümme verlangt ultimativ, die Menschen zu verjagen – sonst wollen sie den Laden dicht machen. Denn neben schwerem Abbaugerät soll das „Paradies“ nur Libellen, Graureihern und Fröschen gehören.
Seit Wochen hat Otto Meister, ein fitter alter Bayer mit Lederhose, einen Nebenjob: Er vertreibt die Stammgäste. Am liebsten mit Radlader und Megaphon. In harten Fällen ruft er die Polizei, die 80 Mark fürs Zelten kassiert. Oder er greift zur Selbsthilfe und macht mal ein Zelt platt. Die fünf Baseball-Jungen waren schwer geschockt. Ihre Bewaffnung erklärt einer mit „drohenden Angriffen von Rechten“.
Warum solche Spaßverderberei ausgerechnet in diesem heißen Sommer? Ausgerechnet in den Sommerferien? Das fragen sich Viele im Umkreis. Zum Beispiel die Schauspielerin Hille Darjes aus Worpswede, deren Sohn Dauergast in der „Kiese“ war. In einem offenen Brief weist sie darauf hin, wie solche Maßnahmen auf Jugendliche wirken: „Politische Gleichgültigkeit und Fatalismus“ sieht sie heraufziehen.
Der eigentliche Anlaß für die Naturschutzbehörde, jetzt einzuschreiten, war ein ganz banaler: die „Kiese“ ist ins Gerede gekommen. Unkontrollierte Paradiese funktionieren nur, wenn man nicht zuviel drüber redet. Es war jetzt ausgerechnet Erwin Knübel, der Sandbaron, der Staub aufwirbelte. Knübel hat nämlich eine eigene Vorstellung vom Paradies: Am Baggersee soll eine Feriengebiet mit 600 Häuschen entstehen, mit Klos, mit Restaurant und – mit Freibad. 900 Mark Pacht im Jahr für die Parzelle, darauf baut man sich für 50.000 Mark ein Häuschen. Das hat „der Investor“, wie er sich am liebsten nennt (12 Millionen Mark will er nach Tarmstedt tragen) schon vor 20 Jahren geplant, als er den Abbau hier begann. Denn Sand allein macht nicht reich. Und darum gibt es nicht nur Kies-und-Mörtel-Knübel, sondern auch eine „E.Knübel Wochenendplätze GmbH“. Der gehören ähnliche Projekte schon in Ohlenstedt und Steden (Landkreis OHZ). Die Gemeinde Tarmstedt will auch reich werden und zieht mit: Der Baggersee muß aus dem Landschaftsschutz ausgeklammert werden. Aber da sperrt sich der Landkreis. Derzeit hängt das Verfahren bei der Bezirksregierung in Lüneburg, die in zwei Wochen entscheiden will.
Knübel hatte es so schlau eingefädelt. „Ich habe Fakten geschaffen, das verhehle ich nicht,“ erläutert er der taz seine Strategie, „was der Mensch nicht kennt, vermißt er nicht.“ Obwohl verboten, ließ er im Baggerloch baden, um die Menschen süchtig zu machen. Da konnte eigentlich nichts schiefgehen. Nur eins konnte Knübel ja nicht ahnen: die üble Koalition aus Grünen und Grünröcken. Der wildeste Gegner des Feriendorf ist Oberkreisdirektor Gerhard Blume. Ein Jäger. In seiner Naturschutzbehörde: lauter Jäger. Wer rottet sich in und um Tarmstadt zusammen gegen Knübel: Jäger. Und wer hat Sitz und Stimme in Lüneburg? Die Grünen! „Da habe ich nicht mehr viele Hoffnungen,“ klagt Knübel.
Das einzige, was alle einhellig sagen, ist: So wie jetzt kann es nicht bleiben. Zuviel Müll, zuviele Fäkalien, zu gefährlich, überhaupt die wilden Parties... Nur ein paar Leute wollen überhaupt nichts ändern: die bisherigen Planschgäste. Jugendliche rennen rum, sammeln Unterschriften gegen den Knübel-Plan und hoffen auf einen heißen Herbst. Sobald die Sonne nämlich wieder lacht, kommen sie doch wieder – die Freunde der „Kiese“. Seitenschneider haben sie schon gewohnheitsmäßig in der Tasche. Jäger, Grüne, Politiker und Polizisten jedoch – die warten sehnlichst auf den baldigen Wintereinbruch.
Burkhard Straßmann
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