: Zwei Jahre nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen hat sich das Verhältnis der Deutschen zu den AusländerInnen kaum verändert. Die Grundstimmung ist geblieben – trotz deutsch-vietnamesischer Begegnungsstätte. Aus Rostock Bascha Mika
Scheiße, aber irgendwie in Ordnung
Wer nicht stark ist, muß sich etwas einfallen lassen. Im fernöstlichen Kampfsport läßt man den Gegner ganz nah an sich herankommen und nutzt dessen Kraft zur eigenen Verteidigung. So etwas ähnliches haben die Rostocker VietnamesInnen wohl im Sinn gehabt, als sie ihre Konsequenzen aus den rassistischen Krawallen im August 1992 zogen. Hunderte Jungmänner wollten damals die Plattenbauidylle im Vorort Lichtenhagen ausländerfrei brennen.
„Der Kumpel, mit dem ich gestern ein Bier getrunken habe, wird mich morgen nicht anzünden“, sagt Thinh Nguyen Do und grinst sogar ein bißchen dabei. „Also müssen wir Deutsche und Vietnamesen zusammenbringen.“ Und wie klappt es? Unentschlossen wiegt Thinh den Kopf: „Halb- halb.“ Thinh ist ein Opfer des deutschen Hasses auf Fremde: Vor zwei Jahren hat er in Rauch und Flammen beinahe sein Leben gelassen. Heute suchen er und seine Landsleute Kontakt zu den Tätern. Thinh ist Vorsitzender von „Diên Hông“, dem Verein „Gemeinsam unter einem Dach“.
Die vietnamesisch-deutsche Begegnungsstätte – sie existiert seit Anfang des Jahres – finanziert sich aus Spenden und Geldern von Wohlfahrtsorganisationen. Die Stadt bezahlt fünf ABM-Stellen für die vietnamesischen MitarbeiterInnen. Der Verein ist im „Sonnenblumenhaus“ untergebracht, dessen Name nicht Programm ist, sondern auf ein scheußliches Mosaik an der Giebelwand zurückgeht. 1992 war das Haus Angriffsziel der Randalierer, inzwischen sind alle peinlichen Spuren beseitigt. 85 VietnamesInnen aus dem ehemaligen Wohnheim leben noch hier. Die Stadt hatte ihnen andere Wohnungen angeboten, die meisten haben abgelehnt.
Eine andere Offerte hätten die VertragsarbeiterInnen bestimmt nicht ausgeschlagen: ein Bleiberecht in der Bundesrepublik. Doch soweit ging das Befürfnis nach Wiedergutmachung bei den Behörden nicht. Die beschränkte Aufenthaltsbefugnis wird alle zwei Jahre verlängert – aber nur für den, der allein für seinen Lebensunterhalt sorgen kann.
Wer Rostocks Oberbürgermeister Dieter Schröder (SPD) darauf anspricht, erntet nur eine lapidare Ausrede: „Die Stadt tut für diese Menschen, was sie kann.“ Bei der Randale habe sich nicht die Seele der Rostocker, sondern die der Deutschen gezeigt. In der Hansestadt sieht Schröder „ganz freundliche Indikatoren“ am Werk: Trotz massiver Rekrutierungsversuche von NPD und DVU während der Randale bekamen die rechten Parteien bei der Kommunalwahl im Juni kein Bein auf den Boden. Auch die rechtsextreme MBU („Mecklenburg-Vorpommern bleibt unser“) krebste bei 1,7 Prozent. Die meisten Stimmen sahnte die PDS mit 33,2 Prozent ab. Die Ergebnisse im Wahlbereich Lichtenhagen entsprechen denen im gesamten Wahlkreis Rostock.
„Diên Hông“ im Erdgeschoß des Sonnenblumenhauses hat seine Räume geschmückt, wie man sich das so vorstellt: Lampions an der Decke, bunte Papierschirme in den Ecken, rotgepolsterte, hochlehnige Stühle. Nur die Tischtennisplatte und der Kicker passen nicht recht zum Asien-Stil. Sie werden von den anwesenden Vietnamesen lautstark genutzt. Die jungen Männer – die zwölf Frauen im Haus lassen sich nur selten hier blicken – haben viel Zeit. Wie bei ihren mehr als 400 Landsleuten in Rostock ist jeder zweite arbeitslos.
Gegen dieses Dilemma haben sich das Arbeitsamt und das Bundesministerium für Arbeit etwas einfallen lassen: Sie fördern ein Modellprojekt zur beruflichen und sozialen Integration ehemaliger Vertragsarbeiter; es ist dem Verein „Diên Hông“ angegliedert. 23 Rostocker Vietnamesen werden seit Juli zu Hochbau-Facharbeitern umgeschult, 160 Maßnahmen sollen noch folgen, auch für Frauen. Teil des Projekts ist auch ein Programm, das das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern verbessern soll; es wird vom Bonner Jugendministerium aus dem Topf des AGAG (Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt) finanziert.
Ian Harknett koordiniert das Modellprojekt. Bei der Arbeit mit rechten Jugendlichen – dieser Schwerpunkt ist vom Merkel-Ministerium vorgeschrieben – hat er Jungmänner erlebt, die sagten: „Ich war 1992 bei der Randale dabei, und es war Scheiße!“ Auch Thinh Nguyen Do hat mit ihnen seine Erfahrungen gemacht. In den ersten Wochen kamen sie in großen Gruppen, verbrüderten sich mit den vietnamesischen MitarbeiterInnen, wollten aber von den restlichen „Fidschis“ und allen anderen Ausländern nichts wissen. Seit der Verein ein festes Programm anbietet, vom „Blick in den vietnamesischen Kochtopf“ bis zu Filmen und Vorträgen, kommen Rechte nur noch, wenn ganze Jugendclubs eingeladen werden.
Auch die Lichtenhagener lassen sich nur spärlich blicken; neugierig sind vor allem die Kinder. „Die eine Gruppe kommt nicht“, meint Thinh, „weil sie es nicht nötig findet.“ Die Randale sei zwar Scheiße gewesen, fänden sie, aber irgendwie trotzdem in Ordnung, denn jetzt sei Lichtenhagen fast ausländerfrei. „Und die andere Gruppe kommt nicht, weil sie sich ganz doll, doll, doll schämt und sich noch mehr schämt, wenn sie einen Vietnamesen sieht.“ Auch Wolfgang Richter, der Rostocker Ausländerbeauftragte, guckt skeptisch: „Die Grundstimmung hat sich nicht verändert.“
Trotzdem, finden Thinh Nguyen Do und Ian Harknett, kann man optimistsch bleiben, wenn man die Rahmenbedingungen akzeptiert. Und die sind in Lichtenhagen ausgesprochen schwierig. Wer nicht stark ist, muß sich eben nicht nur etwas einfallen lassen. Er muß auch zäh sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen