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Schwester im System

■ Kleine Paranoia-Schau: Julia Schers Videoinstallation "Don't worry" in Köln

In dem amerikanischen Horrormovie „Killer im System“ gerät der Geist eines Massenmörders, der während eines Sturms einer Computertomographie unterzogen wird, ins Elektrizitätsnetz. Fortan tötet der Eingespeiste mit allen Mitteln, die ihm eine hochtechnisierte Gesellschaft bietet. Autos verkeilen sich ineinander, als der High-Tech-Killer alle Ampelanlagen auf Grün stellt. Mikrowellenherde werden zu Zeitbomben umprogrammiert, Babysitter in der Waschmaschine elektrokutiert. Vorher läßt der Mörder auf dem Daten-Highway die Scheckkarten seiner Opfer vom Bankautomaten einziehen und erschreckt sie per e-mail zu Tode, bevor ein Virus den Home Computer lahmlegt.

Als „Killer im System“ sollen auch die Werke der amerikanischen Künstlerin Julia Scher funktionieren, die seit zehn Jahren mit ihren Videoinstallationen die Schrecken einer „Hochsicherheitsgesellschaft“ beschwört. Freilich: Frau Scher widmet all die Steuerungsinstrumente der Multimedia- Gesellschaft nicht so konsequent um wie der Kino-Killer. „Ich will bei den Leuten ein bißchen Paranoia auslösen“, so Scher in einem Interview über ihre Beweggründe. Im Kölnischen Kunstverein wurde mit „Don't worry“ ihre bislang größte Installation aufgebaut, für die sie Überwachungskameras zweckentfremdet und deren Aufzeichnungen mit „schmutzigen Daten“ manipuliert.

Schon über dem Eingang des Kunstvereins locken zwei riesige Lautsprecher die Passanten vom Kölner Neumarkt in die Ausstellung: „Treten Sie ein! Bitte kommen Sie näher! Es besteht kein Grund zur Unruhe!“ Wer der Einladung folgt, betritt ein künstliches Paradies aus Einkaufspassage und Hochsicherheitstrakt. Ein Duftzerstäuber verbreitet im bläulich schimmernden, langgezogenen Hauptraum milde Gerüche, aus Deckenlautsprechern ertönt sanfte Fahrstuhlmusik, mit leisen Durchsagen untermalt, die von angenehmen Stimmen auf deutsch und englisch vorgelesen werden. Nur wer genauer zuhört, versteht Brocken der unheimlichen Techno-Litanei: „Schimmernde Röntgenstrahlen und fleischfressendes Fernsehen ... drei bis zwanzig Jahre wirkende Implantate gegen Depression ... beginnen Sie nun mit der Handflächenidentifizierung und Netzhautabtastung.“

Zwei Beobachtungskameras an den Kopfenden des Raumes zeichnen währenddessen jede Bewegung der Besucher auf und übertragen ihre Bilder in Echtzeit, vermischt mit abstrakten Computersimulationen auf sechs hängenden Videomonitoren. Der Raum wacht über seine Besucher.

Doch längst nicht alle Videobilder sind „echt“: Ein Zufallsgenerator kombiniert die Aufnahmen mit früher aufgenommenen Videosequenzen, die den Kunstverein aus verschiedenen Winkeln zeigen. Die gezielt eingestreuten verfälschten Bilder sollen die Glaubwürdigkeit des gesamten technologischen Apparates unterminieren und zugleich seine Bedrohlichkeit demonstrieren. Ein anderes Video-„Feed-In“ zeigt, wie Udo Kittelmann, der als neuer Direktor des Kölnischen Kunstvereins mit dieser Ausstellung sein Debüt gibt, in seinem Büro überfallen wird.

„Die modernen Systeme, mit denen heute der öffentliche und erst recht der private Raum überwacht wird, sind außerordentlich perfekt und außerordentlich gefährlich“, sagt Julia Scher, „und die wenigsten, die sich in diesen überwachten Räumen bewegen, sind sich dessen überhaupt bewußt.“ Das ist einer der Gründe, warum Scher alle Ausstellungsbesucher und die Museumswärter Formulare unterschreiben läßt, in denen sie sich damit einverstanden erklären, daß sie gefilmt werden.

Daß Sicherheitssysteme im öffentlichen Raum trotzdem unsicher sind, zeigen dagegen Videoaufnahmen, die Julia Scher auf dem Köln-Bonner Flughafen machte. Als sie mit einer Phantasieuniform auf dem Flughafen herumging, erhielt sie mühelos Zugang zu allen Sicherheitszonen: „Die Polizisten haben mich für jemanden von einer amerikanischen Sicherheitsfirma gehalten und überall reingelassen. Als eine von den Gepäck-Röntgenkontrollen ausgefallen ist, habe ich sogar die Passagiere durchgewinkt. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich überall eine Bombe legen können.“

Aber don't worry, Julia Scher will gar nicht killen. Vielmehr schwankt die „Sicherheits-Kunst“ von Julia Scher, die ihre Inspiration aus Magazinen mit Titeln wie „Counter-Intelligence“, „Data-Virus“ und aus Mail-Order-Katalogen für Wanzen, Infrarot-Radar, Gehirnwellenmonitoren und Alarmanlagen bezieht, zwischen Technophilie und Technophobie. Sie ist nicht der Große Bruder, sondern bloß seine kleine Schwester: „Auf dem Kölner Flughafen habe ich mich gefühlt, als könne ich tatsächlich für die Sicherheit von anderen sorgen. Dabei kann ich noch nicht einmal auf mich selbst aufpassen.“ Tilman Baumgärtel

„Don't worry“, bis 2. 10. im Kölnischen Kunstverein. Zur Ausstellung erscheint eine CD mit dem Soundtrack der Installation.

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