: Keine Entschädigung für Opfer der Kollektivierung
■ Russisches Dekret über die Rückgabe von konfisziertem Eigentum
Moskau (taz) – Seit drei Jahren warten die Opfer politischer Repression in der Sowjetunion auf eine Entschädigung für beschlagnahmtes Eigentum, mit einem Dekret der Moskauer Regierung soll es nun endlich soweit sein: Als untere Grenze der Entschädigungsleistungen setzt dieses eine Summe von 40 Mindestlöhnen – dies entspricht etwa 630 DM – fest. Die maximale Entschädigungssumme beträgt 100 Mindestlöhne, umgerechnet 1.500 DM. Im Haushaltsbudget der Russischen Föderation von 1994 sollen 750 Milliarden Rubel (555 Millionen DM) für die Ansprüche der Opfer bereitgestellt werden. Da das Dekret nur wenige Tage nach der Freisprechung eines der Putschisten des August 1991 erlassen wurde, werten Beobachter es als einen Versuch, zumindest in einem Bereich „Gerechtigkeit“ herzustellen.
Schon 1991 war vom damaligen Obersten Sowjet Rußlands ein Gesetz zur „Rehabilitierung der Opfer politischer Repression“ beschlossen worden. Seither bekommen sie bzw. ihre Nachkommen staatliche Vergünstigungen. So wurden Miete und Energiekosten um 50 Prozent reduziert, einmal im Jahr gibt es eine kostenlose Fahrt mit der Eisenbahn und einen kostenlosen Urlaub. Jeder Tag als Gefangener wurde mit zwei Drittel des Mindestlohnes entschädigt. Bestimmungen für die Entschädigung oder Rückgabe von beschlagnahmtem Eigentum – dies betrifft in erster Linie Häuser und Wohnungen – waren in dem Gesetz allerdings nicht enthalten.
Doch auch jetzt scheint die vorgesehene Entschädigungssumme nicht besonders hoch zu sein. Zumal die Zahl der Opfer politischer Repression auf mehrere Millionen Menschen geschätzt wird. Memorial, eine schon während der Perestroika gegründete Organisation, die die Menschen bei der Aufklärung der staatlichen Unterdrückung unterstützt, geht allein in Moskau von 7.000 „Fällen“ aus, eingeschlossen die Dissidenten der 70 und 80er Jahre. Den Ansprüchen der Opfer sind durch die Bestimmungen des Gesetzes enge Grenzen gezogen. Zurückgegeben wird Eigentum, welches „beschlagnahmt“ oder „auf andere Weise dem Eigentümer genommen“ wurde. Voraussetzung ist jedoch, daß es noch existiert. Wohnungen werden nur zurückgegeben, wenn der Anspruchsberechtigte selbst keine Wohnung hat. Entschädigt wird Beschlagnahmtes unabhängig davon, ob es noch existiert. Keine Ansprüche können erhoben werden auf Entschädigung von Eigentum, welches nationalisiert wurde oder von den örtlichen Verwaltungen in Übereinstimmung mit den damaligen Gesetzen konfisziert wurde. Das heißt diejenigen, die ihr Eigentum unmittelbar nach der Revolution von 1917 oder während der Zwangskollektivierung Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre verloren haben, können keine Ansprüche geltend machen.
Für das Entschädigungsverfahren sollen spezielle Kommissionen eingerichtet werden. Dort müssen die Antragsteller beglaubigte Kopien der Dokumente über die Konfiszierung vorlegen und nachweisen, daß sie politisch verfolgt wurden. Georgi Schamborant, ein 80jähriger Mitarbeiter von Memorial, ist der Ansicht, daß der Großteil der Opfer nicht mehr lebt. Und nur die wenigsten Familien würden die nötigen Dokumente besitzen. „Es wird erhebliche Anstrengungen kosten, sie zu beschaffen.“
Wer keine Dokumente vorlegen kann, hat die Möglichkeit, in einem Gerichtsverfahren mit zwei Zeugen seine Ansprüche geltend zu machen. Da diese aber an den Orten angemeldet werden müssen, wo das Eigentum beschlagnahmt wurde, werden die Reisekosten wohl viele Anspruchsteller von einer Antragstellung abhalten, meint der Memorial-Mitarbeiter. Erhebliche Probleme sieht Schamborant auch bei der juristischen Beratung. So hat Memorial in Moskau nur zwei qualifizierte Juristen, die Ratsuchende unterstützen können. Allerdings sollen die Kommissionen unbeschränkten Zutritt zu den Archiven des Geheimdienstes, des Innenministeriums und anderen früher nicht zugänglichen Quellen haben. Ulrich Heyden
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