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Die Gelbe Post verliert an Masse

Wirtschafts- und Postministerium einigen sich auf die Zulassung von privaten Werbepostbeförderern ab Januar 1995 / Versandhäuser profitieren / Bezahlt der Briefschreiber die Rechnung?  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Die Taschen der Postboten werden demnächst leerer: Quellekataloge und andere Massendrucksachen, die mehr als 250 Gramm wiegen, sollen ab Anfang 1995 auch von Privatfirmen verteilt werden dürfen. Mahnungen, Rechnungen, Urlaubspostkarten und Liebesgrüße schleppen hingegen weiter die Frauen und Männer von der Post ins Haus.

Damit können die Lobbyisten der Versandhäuser den Erfolg verbuchen, auf den sie seit fast zwei Jahren konsequent hingearbeitet haben. Als zum 1. April 1993 die Post die Gebührenstruktur änderte, mußte die Portokasse für den Katalogversand zwar um etwa ein Viertel aufgestockt werden – was zu heftigen Protesten der Branche führte. Im Vorfeld aber hatten die Vertreter mehrerer großer Versandhäuser den damaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) belagert und ihm die Zusage abgerungen, daß die Portoerhöhung nur bis zum Sommer 1994 gelten würde. Dann solle eine neue Regelung gefunden werden.

Vor allem Quelle legte sich für Lizenzen privater Verteiler und damit einer Auflösung des Briefpostmonopols ins Zeug. Mit Erfolg: Sogar Kanzler Helmut Kohl gab dem Konzern die baldige Zulassung privater Beförderer für Massendrucksachen schriftlich. Der Postdienst reagierte alarmiert. Wenn ausgerechnet das lukrativste Standbein der defizitären Gelben Post amputiert würde, gingen dem Betrieb jährlich 3,5 Milliarden Mark verloren. Nur durch massive Gebührenerhöhungen für die übrigen Postsendungen könnte das aufgefangen werden. Von 37 Pfennig mehr für einen Standardbrief war damals die Rede. Außerdem seien 40.000 Jobs gefährdet, drohte der Postdienst.

Inzwischen gingen eine ganze Reihe Firmen, die Massendrucksachen zu versenden hatten, dazu über, ihre Boten ins Ausland zu schicken: Für einen Bruchteil der deutschen Gebühren nehmen die Postämter in der Tschechischen Republik, Litauen, Hongkong oder Niederlanden die mit deutschen Adressen versehenen Umschläge entgegen. Unklar ist, wie viele der jährlich insgesamt 4,4 Milliarden Werbebroschüren und -blättchen, die in deutschen Briefkästen und Papierkörben landen, der Post auf diese Weise verlorengingen.

Nachdem die Postreform kurz vor der Sommerpause verabschiedet worden war, stand der Zulassung von privaten Konkurrenten nichts mehr im Wege. Allerdings hatte die SPD ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung davon abhängig gemacht, daß Deutschland bei der Aufgabe von Monopolen einer EU-Regelung nicht vorauseilen dürfe. „Was jetzt geschehen ist, ist ein Vertrauensbruch“, empört sich Arne Börnsen (SPD). Bis Anfang 1995 sei es für die Post unmöglich, sich auf die neue Konkurrenzsituation einzustellen. Grundsätzlich sei er zwar für einen Wettbewerb in diesem Marktsegment. Aber das setze voraus, daß die Bundespost unter den gleichen Bedingungen antreten könne wie andere Anbieter.

Tatsächlich ist die Gefahr groß, daß sich die privaten Versanddienste nur die Rosinen herauspicken dürfen. Während die Bundespost per Gesetz dazu verpflichtet ist, alle Sendungen auszuliefern – egal ob der Adressat in Hamburg oder auf Hallig Hooge wohnt –, ist noch völlig unklar, ob die Privaten flächendeckend ausliefern müssen. Somit ist es nicht unwahrscheinlich, daß die in der Einöde wohnenden Katalogkunden künftig weiterhin vom Postboten beliefert werden. Das Finanzloch der Post würde auf diese Weise immer tiefer, weil sie im Vergleich zu den anderen Anbietern im Nachteil wäre. Mit absehbaren Konsequenzen für die Schreiber und Empfänger von Briefen: seltenere Auslieferungen, noch schlechterer Service als bisher.

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