piwik no script img

Nur selten Panik auf der Titanic

■ Zwischen Alltag und Dramatik: Der Seenotrettungskreuzer Hermann Helms rettet vor Cuxhaven Schiffe und Menschen

Motoren anlassen und auf Touren bringen, Kurs festlegen, Landverbindung kappen, Tochterboot im Heck startklar machen: Für diese kleine Seemannschoreographie darf die Besatzung des Seenotkreuzers „Hermann Helms“ nur fünf Minuten brauchen. „Wir schaffen das aber in drei, auch wenn wir nachts zu einem Einsatz angefunkt werden“, sagt der Vormann oder Kapitän Jörg Bünting stolz. Dann weht schon einmal die Brise zuerst durch die Schlafanzüge, bevor die vier Besatzungsmitglieder während der Fahrt in die roten Overalls der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) springen.

Die „Hermann Helms“, gehört zu den insgesamt 19 Seenotkreuzern die in der Nord- und Ostsee stationiert sind. Zusammen mit 39 kleineren Booten leisten auf ihnen 150 festangestellte und 400 ehrenamtliche „Rettungsmänner“ Such- und Bergungsdienste. Drei von den 550 Rettungsmännern sind Frauen. „Unter der Flagge der Menschlichkeit“ gab es im vergangenen Jahr 2.259 Einsätze. Bezahlt wird dieses fromme Werk der christlichen Seefahrt nur aus Spendenmitteln:177 Pfennig jährlich zahlt statistisch jeder Hamburger, 12 Pfennig jedeBayerin. Das Nord-Südgefälle ist deutlich - trotzdem findet sich auch in mancher fränkischen Weinstube das seit 1875 unverändert gebliebene Sammelschiffchen der DGzRS.

Davon wird auch der Alltag auf der „Hermann Helms“ bezahlt. Der sieht recht nüchtern aus: Die Männer tehen um 7.00 Uhr auf und machen ab 8.00 Uhr ihre Arbeit: Logbuch führen, Berichte abfassen, den Rettungsfunk abhören, Wetter beobachten, das Schiff warten, Kontroll- und Übungsfahrten durchführen. „Am meisten Streß haben wir nach Einsätzen“, sagt der erste Techniker, Rolf Cordes, „denn das Schiff muß ständig auslaufklar sein. Wir müssen gleich prüfen, ob alle Maschinen und Rettungseinrichtungen voll funktionieren.“ Wenn nicht, werde auch nach Nachtfahrten sogleich ausgebessert, ergänzt der zweite Vormann Claus Dethlefs.

In spätestens 90 Minuten hat die „Hermann Helms“, ihre entlegensten Einsatzorte in der Deutschen Bucht vor Cuxhaven erreicht. Etwa 50 Kilometer muß der Kreuzer dafür zurückgelegen, wenn nicht gerade ein anderes Schiff näher an der Unglücksstelle liegt. Das Einsatzgebiet der gesamten Rettungsflotte in der Nordsee reicht etwa 350 Kilometer ins Meer hinaus. Üblich sind Hilfsleistungen aber nur in einer Küstenentfernung von rund 150 Kilometern: Privatboote und Fischkutter verlassen diesen Bereich erst überhaupt nicht und weiter draußen verteilen sich die Schiffsbewegungen und es kommt zu weniger Unfällen.

Rettung aus Seenot ist auch nicht mehr das, was es einmal war: Wenn sich die „Hermann Helms“ einer Unglücksstelle nähert, dann treiben ihr keine mit Frauen und Kindern besetzten Rettungsboote entgegen, während die Männer auf einem leckgeschlagenen Dampfer tapfer ihrem Untergang entgegensehen. Die heutigen Seenotkreuzer sind Notarztwagen zu Wasser: „In diesem Sommer mußten wir etliche Herzinfarktpatienten von Ausflugsschiffen oder Kaffeefahrten runterholen und hatten auch sonst viele Krankentransporte. Die Leute konnten die Hitze nicht ab“, erzählt Vormann Bünting. Auch sonst gibt's wenig Rettungsromantik: manövrierunfähige Schiffe aus Gefahrenzonen schleppen , bei Leckbekämpfungen helfen, Besatzungen bei Bränden oder Kollisionen bergen und gekenterte Freizeitsegler aus dem Wasser ziehen, die ihre Fähigkeiten überschätzt haben.

Seltener ist ein Fall wie vor ein paar Wochen - da nahm die Besatzung der „Hermann Helms“ eine lebensmüde Frau auf, die in Cuxhaven ins Wasser gesprungen war. „Dann hat sie aber gemerkt, daß ein nasser Tod ein Scheißtod ist und wollte wieder an Land schwimmen“, erzählt Bünting. Die starke Strömung zog sie jedoch weiter in die Elbmündung. Vier Stunden lang trieb die Frau im Wasser, bis sie ein Fischkutter entdeckte, zunächst als Leiche meldete und barg. Die begann sich jedoch an Bord wieder zu regen und brauchte schleunigst medizinische Hilfe, die sie auf dem Seenotrettungskreuzer bekommen konnte. „So einen Kreislauf richten wir nach einer Unterkühlung schon wieder auf“, sagt der zweite Techniker an Bord, Klaus John, der sich um die Notfallpatienten kümmert, mit denen der Kreuzer im Eiltempo zur nächsten Klinik dampft. Der Seenotkreuzer selbst ist mit Medikamenten, Infusionsmitteln und Verbandmaterial au5zsgestattet, die Besatzung ist für die erste und auch die zweite Hilfe auf See ausgebildet. Jeder kann das bordeigene EKG und das Beatmungsgerät bedienen.

Manchmal jedoch holt die Mannschaft tatsächlich nur noch einen Toten an Bord oder die See holt sich den Hilfesuchenden: „Vor zwei Jahren sollten wir bei schwerem Sturm einen Lotsen bergen, der außerbords gegangen war. Einen Meter von uns entfernt, hat ihn dann eine Welle verschluckt und nicht wieder hergegeben“, schildert Klaus John einen der Fälle, der ihm bis heute „stark an die Nieren geht“. Da könne man nicht viel machen, als hinterher noch einmal durchzusprechen, ob bei der Aktion wirklich keine Fehler gemacht wurden. Die Männer wissen freilich, was sie bei ihren Einsätzen erwartet: „Uns ist ja immer klar, daß uns keiner zur Party ruft. Jeder weiß, daß es zu tragischen Todesfällen kommen kann und muß damit fertig werden“, sagt Bünting. Innerhalb der Mannschaft sei das kein Gesprächsthema. „In den Familien wird über solche Erfahrungen und Ängste sicher mehr geredet.“

Zu Frau und Kind kehren die Besatzungen nach 14 Tagen durchgehendem Dienst für zwei Wochen zurück. Die Rettungsmänner auf der „Hermann Helms“ schwärmen von „paradisischen“ Arbeitsbedingungen - jeder von ihnen war zuvor schon auf hoher See und drei bis sechs Monate von Zuhause weg.

Daß sie bei vielen Einsätzen Kopf und Kragen riskieren, erwähnt keiner der vier Besatzungsmitglieder. Zuletzt ist 1990 ein Mitglied der Seenotrettungsflotte bei einem Einsatz ums Leben gekommen, doch der Vormann gibt sich gelassen: „Hilfeleistung ist für einen Seemann auch in schwierigen Situationen normal“, meint Jörg Bünting, „Bergleute leben wahrscheinlich gefährlicher.“

Alois Bierl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen