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Professionalität und Bewegung

■ "Rein in die social mine fields" oder: Wie man mit dem Action-Journalism hinter die Meinung gelangt

Im „Internationalen Institut für Journalismus“, bei Köpenick, fand unlängst ein Seminar statt, das sich primär an Journalisten wandte, die unter dem „Burn-out-Syndrom“ leiden und nach Wegen aus dem „Motivations-lack am Schreibtisch“ suchten. Erst einmal wurden sie von den Referenten aufgeklärt, wohin der „New Journalism“ sich mittlerweile entwickelt hat. Neben dem „urbanen“ Hardcore-Ticker- Journalismus gibt es einen „sanften“ und einen „involvierten“.

Der sanfte Journalismus, so erklärte Mark Petersen vom San Francisco Chronicle, sei die auf einen Punkt gebrachte Weltverbesserung: Greenpeace zum Beispiel konzentriere sich auf Umweltprobleme, „Menschenrechte, Arbeitsplätze interessieren die nicht ...“ Stimmt nicht, flüsterte ein SFB-Kollege, soeben hat sich Greenpeace in Berlin mit der Gruppe Hydra zusammengetan, sie nennen sich „Robin Futt“.

Der „Involving Journalism“ erinnere dagegen an die „alte Parteilichkeit“, sei aber, besonders bei den Neuen Medien, primär an Einschaltquoten interessiert. Eine Subvariante davon, der „Action- Journalism“, würde in Zeiten zunehmender Mobilität und wachsender Beschleunigungen an Bedeutung gewinnen. Raus aus den Redaktionsstuben und rein in die „social mine fields“, um – unter Ausnutzung des Überraschungsmomentes – hinter die Meinungen zu gelangen. Einer IA-Kollegin fiel dazu eine Bungee-jump-Recherche im freien Fall ein, sowie ihre Reportage von der Brandenburger Landesausstellung, die sie hoch zu Roß bestritten habe. Es gehe dabei weniger um eine Reduktion verpönter „talking heads“ im Fernsehen, schränkte der Referent, Medientheoretiker Salm-Schwader, ein, sondern eher um eine „Intensivierung des getting involved“, mit dem Anspruch, dabei aufs quasi wahre Selbst zu stoßen.

Uns ermutigte später der Vortrag über „Action-Journalismus“ zu einem spontanen Selbstversuch. Das war aber schon nach der Tagung, auf dem Heimweg. Da standen wir an einer Ampel, und neben uns eine Kollegin vom ORB, die sich ebenfalls fortgebildet hatte. Sie fuhr einen Clio mit heruntergeklapptem Verdeck, und wir fragten sie rundheraus: Warum muß es gerade ein Cabrio sein, Genossin?

Zwar wußten wir, daß auch im Märkischen mittlerweile distinkte Unterscheidungen die Leerstelle politischer Differenzen auffüllten, aber ihre Antwort überraschte uns doch: „Mein Wartburg war mir zu eng geworden, ich bin doch im sechsten Monat schwanger.“ Das hatten wir glatt übersehen.

Immerhin – uns war damit die Idee geboren: Action-Interviews vom fahrenden Auto aus! Als erstes erwischten wir einen Porsche- Cabrio mit Hamburger Nummer, am Neuen See im Tiergarten. Die beiden Insassen, ein Architekt und seine Freundin, wissen nicht, ob sie sich mehr über unsere „Start- Frage“ wundern sollen („Warum fahrt ihr eigentlich Cabrio?“) oder darüber, daß wir selbst noch nicht einmal ein Schiebedach überm Kopf unser eigen nennen. Und das „eigentlich“ scheinen sie despektierlich zu finden. Doch das entmutigt uns gar nicht.

Den nächsten Cabrio-Fahrer sprechen wir auf der Fahrt zum Liepnitzsee bei Wandlitz an. Der mit freiem Oberkörper hinterm Steuer sitzende Mitvierziger ist „Nudist“, wie er sogleich gesteht, und im Hauptberuf Bezirksleiter bei der OVK – oder so ähnlich –, außerdem gebürtiger Hesse. Als solcher sehnt er sich zurück nach Bad Vilbel. Versüßt wird ihm der „Osteinsatz“ durch die größere Toleranz „in bezug auf Textilfreiheit“. „Und durch noch so manches“, was er jedoch nur durch ein bedeutungsvolles Abnehmen seiner Fielmannbrille andeutet. Weil er dazu außerdem auf das Steuerrad klopft, nehmen wir an, daß es auch was mit dem Cabrio zu tun hat, der vielleicht selbst eine Art Freikörper darstellt, jedenfalls wenn man von oben einen Blick etwa auf die nußbraune Knüppelschaltung zwischen den wuchtigen Ledersitzwulsten wirft.

Hinter Hennigsdorf, vorm Heiligensee, treffen wir auf ein manilagrünes Escort-Cabriolet. Der Fahrer gibt sich freimütig als Kinderfeind zu erkennen: „Mit so einem Auto kommt man gar nicht erst in die Verlegenheit.“ Die Frage, ob er den Kinderwunsch auch für einen Ausdruck alten Bauerndenkens halte, der mit dem Versorgungsstaat vollends ideologisch geworden sei, (Meinung?!) verneint er jedoch. Er sei Arzt und wisse, daß der Sozialismus am Mutti-und-Kind-Gedanken gescheitert sei: „Diese ganzen kostspieligen Erleichterungen für das Kinderaufziehen, was es da nicht alles gab bei uns. Wenn man statt dessen die abnehmende Kinderzahl durch Einbürgerung von immer mehr Ausländern kompensiert hätte, dann wäre die DDR wirklich internationalistisch geworden.“

Aus Sicht des Mediziners seien überdies das Austragen eines Kindes und die Entwicklung eines Krebses identische Vorgänge: Der Körper versuche beide gleichermaßen abzuwehren, aber dem Fötus wie dem Krebs gelinge es, das Immunsystem erfolgreich zu blockieren. Einziger Unterschied: „Auf die Geburt folgt ein neuer Staat, mit dem Krebs bricht dagegen die Anarchie aus.“ Während hinter uns schon die ersten Autofahrer anfangen, sich ebenfalls miteinander zu unterhalten, plaudern wir bereits erregt über Katharina Rutschkys These, wonach die zunehmende Kinderschänderei primär auf einen dem Feminismus entglittenen Strafverfolgungsdruck zurückzuführen sei. Hierbei können wir ihn jedoch davon überzeugen, daß entgegen Frau Rutschkys Annahme die Kinderschändungen wirklich zunähmen. Mit der Marktwirtschaft gehe es schließlich auch in Ostdeutschland um das optimale Umsetzen des Lohnes in Konsum. Kinder seien dabei faux frais (Das sind nicht etwa „falsche Erdbeeren“, sondern „unvorhergesehene Kosten“, d. Korr.). Ohne Notwendigkeit hätten sie jetzt nur noch den einen Sinn: ihren Erzeugern Vergnügen zu bereiten! Das gehe bis hin zum „Du sollst es mal besser haben als wir!“ Und allen möglichen Schweinereien – im Zuge der regressiven Entsublimierung. Weil die Autofahrer hinter uns plötzlich auszusteigen drohen, beenden wir unser Gespräch abrupt.

Auf dem B1-Abzweig zum Kaulsdorfer Baggersee („Kauli“) nehmen wir Kontakt mit dem nächsten Cabriolet-Fahrer auf. Er fährt einen Prelude – mit einer Spezialanfertigung am Lenkrad. Die brauche er, um damit die Bremskraft per Hand zu verstärken. Er habe nämlich nur noch ein Bein: Folge eines Motorradunfalls auf dem Weg nach Britz. Dort habe er seine Clique gehabt. „Alles Kawasaki-Fahrer.“ Nach dem Unfall hätten ihm seine Kumpel prima geholfen. Jetzt sei er jedoch oft alleine unterwegs. Mit einem Cabrio hätte man dabei immerhin den Vorteil, „permanent an der frischen Luft“ zu sein.

Vorläufiges Fazit: Action-Journalismus ist eine feine Sache – schnell, modern und kompatibel (mit anderen Journalismen). Um wirklich effektiv zu sein, fehlen hierzulande allerdings noch einige wesentliche Voraussetzungen: zum Beispiel Interviewspuren auf den märkischen Alleen. Hier gäbe es Handlungsbedarf für die noch viel zu zögerliche IG Medien. Dorothee Wenner/Helmut Höge

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