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■ Farida Akhter zur Weltbevölkerungskonferenz„Der Erfolg ist manipuliert“

Die bangladeschische Ökonomin Farida Akhter, 41, ist Direktorin des alternativen Forschungs- und Entwicklungsprojekts Ubinig in Dhaka. Seit 1985 arbeitet sie beim Internationalen Feministischen Netzwerk zum Widerstand gegen Gen- und Reproduktionstechnologien (FINRRAGE) mit. Ein von ihr initiiertes Hearing über Verbrechen an Frauen im Zusammenhang mit Bevölkerungspolitik wird am 7. September in Kairo stattfinden.

taz: Bangladesch gilt hierzulande als ein besonders krasses Beispiel für das Problem der Überbevölkerung ...

Farida Akhter: Es gibt keine klar definierten Maßstäbe dafür, ob die Zahl der Menschen im Verhältnis zur Fläche zu groß oder zu klein ist. Man könnte Überbevölkerung danach bemessen, ob ein Land in der Lage ist, seine Bevölkerung zu ernähren. Aber dann ist Bangladesch nicht überbevölkert, weil wir unsere Bevölkerung selbst ernähren können. Ich möchte die Gegenfrage stellen, warum unser Land als überbevölkert angesehen wird, während westliche Länder, die hundert mal mehr konsumieren, nicht als überbevölkert angesehen werden?

Aber ist nicht Bangladesch extrem arm und von der Auslandshilfe abhängig?

Auch wenn wir unsere Bevölkerung auf die Hälfte reduzieren würden, wären wir noch genauso abhängig. Das hat nichts mit der Zahl der Menschen im Land zu tun, sondern mit unseren Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern des Westens. Wir haben noch nicht einmal die Freiheit zu sagen, daß wir nicht von der Auslandshilfe abhängig sein wollen.

Zeigen nicht die Überschwemmungen, wie begrenzt die natürlichen Lebensgrundlagen des Landes sind?

Die Überschwemmungen sind ein natürliches Phänomen. Wir brauchen sie für die Fruchtbarkeit des Landes. Auch die Armut hat nichts damit zu tun, ob mehr oder weniger Leute in einem Land leben, sondern sie ist eine Frage der weltweiten Ressourcenverteilung. Brasilien zum Beispiel war arm, als dort die Geburtenrate hoch war. Jetzt ist sie niedriger, aber die Armut blieb.

Bangladesch hat also kein Bevölkerungsproblem?

Ich habe gar keine Lust, über Bevölkerung in Zusammenhang mit Problemen zu reden, denn die Frage gibt schon eine bestimmte Art der Antwort vor. In westlichen Ländern herrscht die Vorstellung, daß wir Kinder einfach für etwas Natürliches halten. Gott gibt sie, und wir nehmen sie. Aber das stimmt nicht. Die Menschen haben früher geplant und werden das weiter tun. Sie haben ihre eigene Rationalität. Wir haben ganz andere Probleme in Bangladesch: vor allem die Verschlechterung der Böden und der Rückgang der Fruchtbarkeit. Die Kommerzialisierung der Landwirtschaft entwurzelt die Leute. Wenn man wirklich etwas gegen die Armut tun will, muß man die Fruchtbarkeit des Landes und die Beziehung der Menschen zum Land erhalten und zudem das Bildungs- und Gesundheitswesen ausbauen.

Es ist aber eher damit zu rechnen, daß die Familienplanungsprogramme ausgebaut werden ...

Die größte Sorge der Regierungen im Westen ist, daß die Zahl der Nichtweißen in der Welt zu stark wächst, während die der Weißen zurückgeht. Sie haben Angst um ihre eigene Existenz, nicht Sorge um uns. Das drückt sich auch in der Diskussion über Einwanderung in Europa aus. Sie reden auch über Grenzkontrollen, nicht nur über die Kontrolle der Gebärmutter.

Bei der Weltbevölkerungskonferenz steht zur Entscheidung, daß die Verhütungsmittel in Zukunft auch an die Armen nicht mehr kostenlos vergeben werden sollen. Es ist die Rede von Kostendeckung. Das wirkliche Geschäft fängt also erst nach der Konferenz an. Jedes Jahr im Herbst treffen sich die Vertreter der Geberländer und die Weltbank, um über die Bevölkerungskontrolle zu reden und darüber, wer was beizusteuern hat: Deutschland hat Spiralen anzubieten, Schering und die Pille; Kanada darf Pillen liefern, die USA Spritzen und Norplant (Hormonkapseln, die unter die Haut einer Frau implantiert werden, um fünf Jahre lang Schwangerschaft zu verhüten, Anm. d. Red.). Sie teilen sich also das riesige Geschäft mit den Bevölkerungskontrollprogrammen auf. Sie vergeben ihre Gelder als Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen. So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Regierungen der Empfängerländer können unter Druck gesetzt und die großen Pharmafirmen zugleich subventioniert werden.

Es heißt aber, daß Familienplanungsprogramme in Bangladesch sehr erfolgreich sind und die Frauen dort jetzt weniger Kinder bekommen ...

Aus Sicht der Familienplaner gibt es tatsächlich einen gewissen Erfolg, insofern der Prozentsatz derjenigen, die Verhütungsmittel anwenden, gestiegen ist. Ob das eine direkte Bedeutung für den Rückgang der Fruchtbarkeit hat, können wir nicht sagen. Denn die Verhütungsmittel werden oft auch an die „falschen“ Frauen verteilt: Frauen, die keinen Mann haben oder schon über 50 Jahre alt sind. Viele Frauen verfüttern die Pille an ihre Hühner. Denn die Hühner haben immer irgend etwas, und sie können sie nicht zum Tierarzt bringen. Ich glaube daher, daß die Leute aus der Mittelschicht, die sich Eier leisten können, oft Hormon-Eier essen.

Wie sieht es denn mit dem Prinzip der Freiwilligkeit bei den Familienplanungsprogrammen in Bangladesch aus?

Häufig werden den Frauen manipulierte oder unvollständige Informationen gegeben, um sie dazu zu bringen, daß sie ein Verhütungsmittel akzeptieren. Außerdem wird bei den Eingriffen dann oft sehr brutal verfahren. Die Dreimonatsspritze wird im Haus-zu- Haus-Verfahren praktisch ohne vorhergehende Tests verteilt. Wenn die Frauen dann über Nebenwirkungen, vor allem sehr starke Blutungen klagen, wird ihnen gesagt: „Das ist ganz üblich.“

Die Weltbank behauptet zwar gern, wenn man den Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit zugestehe, würden sie sich von selbst für weniger Kinder entscheiden. Das Interessante ist jedoch, daß die Weltbank nicht warten will, bis die Frauen sich selbst entscheiden. Sie vergeben den Kredit und gleichzeitig die Pille. Insofern ist der Erfolg manipuliert. Norplant ist das gewaltsamste von allen Verhütungsmitteln, und gerade dafür wird in Bangladesch und Indonesien Reklame gemacht. Vielleicht tun wir noch nicht genug, um die Programme zu stoppen. Es gelingt mir noch nicht einmal, viele meiner FreundInnen in den westlichen Ländern zu überzeugen, die in guter Absicht die Programme unterstützen. Ich kann ihnen nicht vermitteln, wie miserabel diese Programme für uns sind. Sie erzählen mir, daß es ein Glück für uns sei, keine Kinder zu bekommen. Interview: Susanne Heim und Ulrike Schaz

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