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Parteien stochern im Wählernebel

■ Zum Beispiel Hamburg: Der Ausgang der Bundestagswahl im Oktober ist so ungewiß wie selten zuvor. Ein Blick zurück nach vorn Von Florian Marten

Wer dieser Tage Hamburger Parteien nach ihren Bundestagswahlzielen fragt, erhält kompromißlos klare Auskunft: „Möglichst viele Stimmen“, so verriet uns beispielsweise SPD-Listenchef Hans-Ulrich Klose die geheime Marschroute der SPD. Auf die Frage, ob die Sozis hier nicht eigentlich 50 Prozent anpeilen müßten, um in Bonn die Chance auf den Rang der stärksten Partei zu haben, flüchtet sich Klose in den Hinweis, Hamburgs Wahlberechtigte würden die Bundestagswahl nicht entscheiden.

Das ist wohl wahr und trotzdem falsch: Auch wenn die 1,3 Millionen Hamburger Wahlberechtigten am 16. Oktober 1994 nur einen winzigen Beitrag zur Entscheidung über „Wechsel“ oder „Weiter so!“ in Bonn leisten, wird die Hamburger Stimmungslage nicht grundlegend vom Genossen Trend abweichen, zumindest seiner westdeutsche Variante. Ein Blick zurück auf die Hamburger Wahlergebnisse der Ära Kohl schärft den Blick für die aktuelle Ausgangslage:

1980, beim letzten Wahlsieg über die Christdemokraten, kam die sozialliberale Koalition in Hamburg auf satte 66 Prozent – 52 Punkte für die SPD, 14 für die Genscher-Boys. 1983, bei der ersten von bislang drei Niederlagen in Folge, lag Rot-Grün mit 55 (47+8) vor 44 schwarz-gelben Prozenten (38+6). 1987 notierte der Wahl-Score bei 52 zu 47. 1990 schließlich, im denkwürdigen Einheitswahljahr, unterlag Rot-Grün mit 47 zu 49 zum einzigen Mal auf Hamburger Urnenboden der konservativen Regierungskoalition.

Inzwischen jedoch, das zeigen die Ergebnisse der Bürgerschaftswahlen 1991 und 1993 sowie das jüngste Hamburger Europawahlergebnis, hat sich die Lage kompliziert: Die Zeiten, in denen 99 Prozent auf die vier Bonner Parteien entfielen, sind perdu. Der schrittweise Zerfall der alten Volksparteien CDU und SPD, Politikverdrossenheit, der Aufstieg der Grünen, der flächenhafte Absturz der FDP, sowie Protestwahlangebote (PDS, Reps & Co) machen auch die Lage im einst so stabilen Hamburg recht unübersichtlich. Rot-Grün erzielte in Hamburg bei der Europawahl 53 Prozent (35+18), Schwarz-Gelb gerade mal 36 Prozent (32+4).

Die alten Ordnungshilfen mit linken und rechten, bürgerlichen und nichtbürgerlichen Wahlblöcken, sie gehen, so die Erkenntnisse der Wahlforschung, längst total an der Wählerwirklichkeit vorbei. Das Stimmvieh treibt es heuer bunt, praktiziert Ringelpietz mit Anfassen: Der bürgerliche Stimmenblock, früher fest für CDU und FDP reserviert (mit herausragenden FDP-Anteilen gerade bei Bundestagswahlen), wird inzwischen von Grünen, Reps und SPD gleichermaßen angenagt. Die FDP hat ihre (links)liberale Wechselwählerklientel fast vollständig eingebüßt. Auch die SPD, die noch immer so gerne Oppositions-Monopolist wäre, ist schwer angeschlagen durch Nicht-, Grün-, Rep- und PDS-Wähler.

Ohne unsere älteren MitbürgerInnen, die besonders fleißig zur Wahl gehen, und – zeitgeistresistent – CDU und SPD in Hamburg gemeinsam noch immer 90 Prozent ihrer Stimmen schenken, würde es zwischen CDU und SPD schon bald nicht einmal mehr zu einer großen Koalition reichen: Bei der Europawahl erzielten SPD und CDU bei den 18-35jährigen in Hamburg zusammen gerade noch 45 Prozent. Kurz: Das alte Wahlprognoseschema einer Kalkulation fürs rechte oder linke Lager hilft heute kaum noch weiter.

Für den Wahlausgang in Hamburg und Bonn entscheidend sind ganz andere Fragen: Wählen die Rentner in Wilhelms-burg die Reps – oder doch noch mal SPD und CDU? Helfen Elbvororte und Walddörfer der FDP über die diesmal himalayaho-he Fünfprozenthürde, oder schießen sie stattdessen die Grünen in den Bonner Zehn-Prozent-Himmel? Wählen die Facharbeiter in Hohenfelde und Barmbek-Nord wie einst in längst vergangenen Mai-Monaten geschlossen die SPD, oder votieren viele von ihnen für den Farbreigen des Haselbuschs: Schwarz, Grün und Braun? Lassen sich die RentnerInnen in den Wandsbeker Altersheimen von Krista Sager betören oder wählen sie, wie seit 30 Jahren, immer noch Erhardt und Helmut Schmidt?

Überschaubar bleibt allein die Arithmetik: 20 Prozent Abstand von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb müßten es als Hamburger Beitrag zur Wende in Bonn wohl sein, ein Ergebnis immerhin, das hier in allen Wahlen seit Kohls letztem großen Wahlsieg erzielt wurde.

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