piwik no script img

Eine Friedensdividende für Politiker und ihre Komplizen Von Ralf Sotscheck

Wunderbar: Die Regierungen in London und Dublin stimmen völlig darin überein, daß der Waffenstillstand der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) unverzüglich zur weiteren Verbesserung der Situation genutzt werden müsse. Die schlechte Nachricht: Die Politiker meinen ihre eigene Situation. Sie haben sich im Windschatten der IRA-Erklärung die Diäten erhöht, weil sie völlig zu Recht davon ausgegangen sind, daß diese Nachricht im Zuge der Friedenseuphorie untergehen würde.

Die Unterhaus-Abgeordneten sind besonders geschickt vorgegangen: Ihr Einkommen ist seit vergangenem November mit dem Beamtensalär im höheren Dienst verknüpft. Während man gegenüber den Staatsdienern jedoch Zurückhaltung predigte und Gehaltserhöhungen ablehnte, diagnostizierten die Abgeordneten bei sich „Nachholbedarf“ und genehmigten sich eine kräftige Zulage – allerdings in zwei Schritten, damit es nicht so auffiel. So sollten die Diäten im Januar zum zweiten Mal um 2,7 Prozent steigen. Da die Beamten jedoch inzwischen ebenfalls Erhöhungen um zwei Prozent durchsetzen konnten, schlugen die Abgeordneten diesen Betrag in der vergangenen Woche kurzerhand bei sich drauf. Ihre Einkommenssteigerung beträgt nun das Doppelte der Inflationsrate.

Mit solch kleinen Fischen geben sich die irischen Kollegen freilich gar nicht erst ab. Die Regierung in Dublin genehmigte sich Erhöhungen um bis zu 30 Prozent. Die Hälfte davon gibt es noch dazu rückwirkend ab 1. April. Premierminister Albert Reynolds streicht fortan knapp hunderttausend Pfund im Jahr ein – umgerechnet eine Viertelmillion Mark. Das entspricht einer Gehaltserhöhung von 17 Prozent. Sein Außenminister bekommt noch ein halbes Prozent mehr.

Bei ihren dunklen Geschäften sind die Iren jedoch taktvoller vorgegangen als ihre Gesinnungsgenossen auf der Nachbarinsel. Dort springt nämlich der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft, Jimmy Knapp, im Dreieck, weil seine Leute bereits seit sieben Jahren auf eine Lohnerhöhung warten. In Irland hat man einfach 650 hohe Staatsdiener zu Komplizen gemacht. Der Parlamentspräsident Sean Treacy, die höchsten Richter des Landes sowie der Generalstaatsanwalt Harry Whelehan, ein katholischer Fanatiker und übereifriger Abtreibungsgegner, streichen künftig ein Sechstel mehr Geld ein. Die Manager der maroden irischen Fluggesellschaft Aer Lingus bekommen gar 30 Prozent mehr. Das Ganze kostet die SteuerzahlerInnen umgerechnet mehr als sieben Millionen Mark. Dafür gibt es die nächste Erhöhung aber auch erst im Mai 1996.

Die Großzügigkeit stützt sich auf einen Bericht, den eine „unabhängige Kommission“ im Regierungsauftrag erstellt hat. Darin heißt es, daß man die „Spitzenkräfte“ anständig bezahlen müsse, damit sie nicht in den Privatsektor abwanderten. Spitzenkräfte? Die Arbeitslosigkeit liegt in Irland bei rund 20 Prozent, die Auswanderung ist in diesem Jahr wieder drastisch angestiegen, Staatsbetriebe operieren im Schatten des Pleitegeiers, und politische Beobachter werfen der Regierung unverhohlen Korruption vor. Wenn das die Spitzenkräfte sein sollen, dann gnade Gott den IrInnen, falls einmal die zweite Garde an die Macht kommen sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen