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Ägyptens Hüter der Moral

Anläßlich der Bevölkerungskonferenz ziehen alte Gegner an einem Strang: die Azhar-Universität, die radikale islamische Opposition, Reagan, der Vatikan und die koptische Kirche  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

„Die Homos kommen“, heißt es auf der Titelseite der Haqiqa, einer der vielen religiösen islamischen Oppositionszeitungen in Ägypten. Die sich sonst so liberal gebende Wafd macht sich Sorgen darüber, ob das ägyptische Gesundheitsministerium Maßnahmen ergriffen hat, um die Jugendlichen, die die Delegationen auf der gestern in Kairo eröffneten Weltbevölkerungskonferenz (ICPD) betreuen, vor der importierten Aidsgefahr zu schützen. Die Ahrar, ein anderes islamisch angehauchtes Oppositionsblatt, behauptet gar, die UNO wolle Geburtenkontrolle durch die Ermutigung homosexueller Beziehungen betreiben. Glaubt man der ägyptischen Presse, so scheint es bei der ICPD ganz allein um Sex zu gehen.

Fahmi Huweidi, ein angesehener Kommentator aus dem religiös-islamischen Lager, sieht in der Bevölkerungskonferenz ein amerikanisches-israelisches Komplott gegen die islamische Welt. Westliche Zirkel wollten die „Islamische Atombombe“ nicht allein mit Waffen, sondern auch durch Geburtenkontrolle bekämpfen. Nicht zufällig hätten sie Kairo, die Stadt der traditionsreichen islamischen Azhar-Universität als Bühne gewählt.

Der ägyptische Präsident Husni Mubarak hatte sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen, um die ICPD nach Kairo zu holen. Er will beweisen, daß Ägypten nicht nur in regionalen strategischen Fragen enger und verläßlicher Bündnispartner des Westens ist, sondern als ein für die Themen der Zeit aufgeschlossener Staat auch eine Rolle in der „Neuen Weltordnung“ spielen kann. Außerdem hofft das Mubarak-Regime, daß die Konferenz dem Tourismus, der durch die Anschläge der radikalen „Gamaat Islamiya“ fast zum Erliegen gekommen war, neuen Auftrieb geben könnte. Die „Gamaat“ haben, um einen Strich durch diese Rechnung zu ziehen, neue Anschläge angekündigt und alle Ausländer, die sich aus Anlaß der ICPD in Kairo aufhalten, zur Zielscheibe erklärt.

Wurde die Bevölkerungskonferenz während der ganzen Vorbereitungsphase fast völlig totgeschwiegen, so haben nun einige islamische Kreise in ihr einen willkommenen Anlaß gefunden, um das Propagandafeuer erneut auf die Regierung zu eröffnen.

Adel Hussein, Chefredakteur der Shaab, der Hauspostille der oppositionellen Arbeiterpartei, beschreibt den Entwurf der „Kairo-Erklärung“, die auf der ICPD verabschiedet werden soll, als „Plan des Teufels“, mit der der Westen Sünde und Unmoral innerhalb der islamischen Nation verbreiten wolle, um so die Muslime in ihrem Glauben zu erschüttern. Hauptinstrument sei dabei die Annulierung der Institution der Familie als Keimzelle der Gesellschaft.

Unter der Parole „Befreiung der Frau“ könnten Frauen sich anmaßen, alleine und ohne ihren Ehemann um dessen Meinung zu fragen, abzutreiben. Eltern dürften sexuellen Beziehungen ihrer minderjährigen Kinder keinen Riegel mehr vorschieben. Das würde die Rolle des Vaters als Familienoberhaupt, dessen Wort nach den Vorschriften des Koran bindend für die anderen Familienmitglieder ist, unterminieren. Die Forderung nach Heraufsetzung des Heiratsalters in Zusammenhang mit Sexualaufklärung, die ja gerade erst die Gelüste der Jugendlichen wecken würde, wäre nichts anderes als ein offener Aufruf zur Prostitution. Derartige „Obszönitäten“ hätten notwendigerweise massenhafte Abtreibungen zur Folge, die ebenfalls durch das UN-Dokument sanktioniert würden. In den USA hätten seit 1973 30 Millionen Frauen abgetrieben – der größte „Massenmord in der Geschichte der Menschheit“, so Ex-Marxist Adel Hussein, der nun zum Bündnis mit den gestern noch als „Imperialisten“ und „Kreuzzüglern“ verteufelten amerikanischen Ex-Präsidenten Reagan und Bush aufruft.

Sahen sich die illegalen, aber einflußreichen Moslembrüder Ägyptens als die Speerspitze des Kampfes gegen die „Kreuzzügler“ des westlich-christlichen Abendlandes, so ist plötzlich der Vatikan zum Hüter der Weltmoral avanciert. Die ICPD würde sich über Gott und das Jüngste Gericht hinwegsetzen, heißt es in einer Erklärung von Mitte August. Die monotheistischen Religionen müßten dem im gemeinsamen Dialog Einhalt gebieten. Das Problem sei nicht die Bevölkerungsexplosion, sondern die mangelnde wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung und die ungleiche Verteilung von Ressourcen.

Infolge der ICPD-Diskussion scheint das Kriegsbeil zwischen der radikalen islamischen Opposition und den traditionellen staatstragenden islamischen Institutionen endgütlig begraben. Im Golfkrieg hatte die Azhar die Intervention der Westmächte mit religiösen Fatwas gerechtfertigt, während sich die Opposition auf die Seite des Irak geschlagen hatte.

Die Azhar nutzte die Gunst der Stunde, der ägyptischen Öffentlichkeit zu beweisen, daß sie nach wie vor die Hüterin islamischer Moral ist. Die Diskussion um die „Pluralität der Familienformen“ würde Ehebruch und Ehen zwischen Schwulen und Lesben sanktionieren, für die der Islam strenge Strafen (nämlich Steinigung bis zum Tode) vorsehen würde. Und Abtreibungen könnten nur dann erlaubt werden, wenn das Leben der Mutter unmittelbar in Gefahr wäre. Selbst eine Vergewaltigung sei kein Grund. Daß bis heute in vielen ägyptischen Dörfern vergewaltigte Mädchen wegen der verlorenen Ehre von ihren Familien umgebracht und daß uneheliche Kinder zeit ihres Lebens wie Aussätzige behandelt werden, verschweigt die Erklärung.

Der Erklärung der Azhar hat sich inzwischen auch die koptische Kirche angeschlossen, die nach den Übergriffen der letzten Jahre auf Kopten durch die radikalen „Gamaat Islamya“ nun unter Beweis stellen kann, daß sie Teil des ägyptischen moralischen Konsenses gegen sie westliche Unmoral sind.

Daß die Bevölkerungskonferenz tatsächlich Folgen für die Moral der ägyptischen Gesellschaft haben könnte, glaubt niemand ernstlich. Gefahr für die Institution der islamischen Familie kommt aus einer anderen Ecke. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten fehlt immer mehr jungen Männern das Geld zum heiraten. Andere lassen ihre Familien sitzen, weil sie den gesellschaftlichen Anforderungen als Ernährer der Familie nicht mehr gerecht werden können. In Kairos Armenvierteln sind inzwischen 30 Prozent aller Haushaltsvorstände Frauen, viele von ihnen zugleich die Alleinernährerinnen der Familien.

Und die gesellschaftliche Moral hat ihre eigenen Gesetze. Voreheliche Beziehungen lassen sich zumindest in den Großstädten kaschieren, wo sich eine Reihe Frauenärzte auf die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens spezialisiert haben. Homosexualität ist aufgrund der forcierten Geschlechtertrennung in Jugendclubs, Studentenheimen, in Gefängnissen und der Armee weit verbreitet. Und die meisten Frauen haben Erfahrung mit illegalen Abtreibungen. Sie haben ihre eigenen Interpretationen für das, was als Sünde vor Gott gilt: „Gott ist barmherzig und weiß, daß ich nicht aus Egoismus abgetrieben hab', sondern weil ich einfach keine Kraft mehr hatte für weitere Kinder.“ Oder: „Erst 40 Tage nach der Empfängnis haucht Gott die Seele ein. Solange ist der Embryo nichts als ein Blutklumpen.“ Oder: „Gott ist allmächtig. Niemand kann sich seinem Willen entgegenstellen. Wenn eine Abtreibung gelingt, dann war es sein Wille. Wenn sie nicht gelingt, so muß ich mich eben seinem Willen fügen.“

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