Gedankenlose Menschen

■ betr.: „Short Stories from Ame rica“, Karikatur auf Seite 10, taz vom 30. 8. 94

„Amerika hat ein neues Verbrechensbekämpfungsgesetz.“ Interessant! Gilt dieses Gesetz dann auch in Brasilien, Kolumbien – eben in ganz Amerika? Übersetzt wurde der Bericht aus dem Amerikanischen. Aha. Bestimmt aus dem Spanischen, oder? Die am meisten gesprochene Sprache in Amerika ist eben Spanisch. Es ist nicht das erste Mal, daß ich beim Lesen der taz mich an den Satz einer Südamerikanerin erinnere: „Sie wollen uns nicht nur unsere Würde, unser Recht auf Selbstbestimmung nehmen – nein, auch noch unsere Nationalität.“ Mit „sie“ waren alle gedankenlosen Menschen gemeint, für die Amerika = USA gilt.

Von dieser Sorte gibt es in der taz mehr, als uns lieb sein kann. Vor allem, wenn sie sich treffen mit Karikaturisten wie „til“. Die Karikatur auf Seite 10 übertrifft wirklich alles bisher Dagewesene an Eurer Anti-Castro-Haltung. Sie ist nicht nur geschmacklos und zynisch, sie ist ekelhaft!

Wann beginnt Ihr umfassend zu denken und zu berichten? Oder fällt Euch das Doppelgesicht der US- und EU-Regierungen nicht auf, die sich über Kuba entrüsten und seit 30 Jahren versuchen, Castro in die Knie zu zwingen – gleichzeitig aber mit einem anderen Land, dessen System sie angeblich auch nicht billigen, locker Gespräche führen und Geschäfte machen? Und dies nach einem Massaker! Ich erwarte von gutem Journalismus, daß globale Zusammenhänge deutlich werden, keine Stimmungsmache und Gedankenlosigkeit. Und vielleicht ist jetzt klar – auch Kuba ist Amerika! „Ich habe Kuba nie für den Himmel auf Erden gehalten – deshalb bin ich nicht bereit, es jetzt als die Hölle zu bezeichnen.“ Diesen Worten von E. Galeano schließe ich mich an. Marianne Link, Heidelberg