: „Eine verheerende Situation“
Dank der Union verarmen die Studenten noch mehr / Empörung von Studentenwerk bis zu Gewerkschaftern / Dramatisch sinkende Kaufkraft bei steigenden Wohnheim-Mieten ■ Von Anja Kaatz
Berlin (taz) – Für die meisten Studenten knallte die Nachricht völlig überraschend in die Semesterferien-Ruhe: Aus den angekündigten vier Prozent Bafög-Erhöhung wird nach dem Willen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion doch nichts. Dabei hatte sich der Vermittlungsausschuß nach monatelangem Gerangel auf diese Prozentzahl geeinigt.
Bereits jetzt müssen ungefähr 15 Prozent der Studierenden mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten. Das geht aus einer Studie des Hochschul-Informations-Zentrums von 1993 hervor. Besonders viele Studenten beginnen ausgerechnet in der wichtigsten Phase, kurz vor Studienabschluß, mit der Erwerbsarbeit. Denn dann gibt es kein Bafög mehr. Andreas Behrendt, Sozial- und Bafög-Berater an der Hamburger Universität, erlebt oft, was das für die Studenten bedeutet: „Das Schlimme ist, daß die dann inhaltlich den Anschluß verpassen. Viele packen es dann nicht mehr und brechen ab“, meint er.
Für die davon betroffenen Studenten ist „das einfach eine verheerende Situation“, meint Behrendt zu der Entscheidung der Unionsfraktion. „Ich weiß nicht, was ich den Leuten hier erzählen soll. Ab März 1995 kostet hier in Hamburg selbst das Zimmer im Wohnheim knapp unter 300 Mark, das Bafög-Amt aber rechnet mit Mietkosten von 225 Mark. Wie soll das gehen? Immer mehr Leute aus Familien mit wenig Geld, die ihr Studium beginnen wollen, fangen jetzt gar nicht erst an. 260 Mark kostet hier jetzt alleine das Semesterticket und die Gebühr. Manche nehmen da Darlehen auf.“
Auch das Deutsche Studentenwerk sieht in der Entscheidung einen Skandal. Für den stellvertretenden Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Dieter Schäferbartholt, werden die Studenten damit doppelt bestraft. Schon die bisherigen Anpassungen seit Einführung des Bafögs 1971 sind nach Berechnungen des Studentenwerks um 17 Prozent hinter der Kaufkraftentwicklung zurückgeblieben.
Jetzt, so meint er, liegen die Zahlen sogar bei 20 Prozent. Die Studenten müßten nicht nur eine Minus-Runde hinnehmen, es werde dabei auch noch verschwiegen, daß sie ohnehin 50 Prozent des Bafögs zurückzahlen müßten. „Besonders bedenklich ist diese Entscheidung auch, wenn man überlegt, daß seit Jahren immer weniger Studenten aus einkommensschwachen Schichten an die Universitäten kommen, nur noch 15 Prozent. Dieser Trend wird bewußt verstärkt, während man gleichzeitig von Chancengleichheit redet.“
Außerdem sei doch gereade erklärt worden, daß durch den Rückgang der Bafög-Empfänger letztes Jahr 248 Millionen eingespart worden seien. Er begreife nicht, warum dieses Geld nicht für die Erhöhung des Bafögs ausgegeben werden könne.
Die Grünen befürchten, daß das Problem der Überfüllung der Hochschulen „über eine finanzielle Auslese“ gelöst werden soll. Sie erklärten gestern: „Mit ihrer Politik in bezug auf Arbeitsvermittlung, Wohnung, Gesundheit und nun auch Bildung wird immer augenfälliger, daß die CDU eine Gesellschaft fördert, in der die Kraft der finanziell Starken das gesellschaftliche Leben bestimmt.“
Auch Gerd Köhler vom Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist empört. Er findet es besonders eigenartig, daß man den Studenten, die vor einigen Jahren Bafög nur als Volldarlehen bekamen, vorgerechnet habe, mit diesem Geld würden sie die zukünftige Generation von Bafög-Empfängern finanzieren. „Und jetzt wird das Geld einfach einbehalten.“ Die Gewerkschaft, sagt er, sei fest entschlossen, nicht zuzusehen, „wie das Bafög zum Spielball im Wahlkampf benutzt wird.“
Überrascht und enttäuscht ist der Ring christlich-demokratischer Studenten. Dort hatte man gehofft, daß die Regierung endlich auch an die Studenten denken würde. Oliver Röseler, im Bundesvorstand der CDU-nahen Studentenvereinigung, findet die Entscheidung inkonsequent. Schließlich habe die Bundesregierung selbst in ihrem letzten Bericht zur Lage der Studenten zugegeben, daß mindestens sechs Prozent Erhöhung angemessen wären. „Mich hat auch sehr gestört, daß gesagt wurde, das paßt nicht ins sozialpolitische Umfeld, denn die Löhne seien ja auch nicht erhöht worden.
Ich bezweifle das. In vielen Fällen hat es doch für die Arbeitnehmer wenigstens eine Kompensation für die Inflationsrate gegeben.“ Und er ergänzt:„ Es hat auch keine andere Gruppe staatlicher Leistungsempfänger gegeben, die einen solchen Kaufkraftverlust ertragen mußten.“
Nicht nur er fragt sich auch, wie eine solche Maßnahme mit den Bestrebungen der Bundesregierung zu vereinbaren ist, die Studienzeiten zu verkürzen: „Das ist doch für jeden Menschen ersichtlich. Hier werden immer mehr Studenten zur Erwerbsarbeit gezwungen, und Erwerbsarbeit wirkt sich einfach studienverlängernd aus.“
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