Versöhnte Kameraden

■ Patriotischerweise müssen auch die Intellektuellen mit zupacken, wenn Amerikas New Deal auf Goodwill-Kurs getrimmt wird: "Mr. Bill" von Penny Marshall verbindet Army, Shakespeare und HipHop

Langsam kommt, wie es scheint, die Zeit, das aufbruchsgestimmte Amerika Clintons zurück auf feste Füße zu stellen. Jetzt eben müssen all jene intellektuellen Gestalten, die sich für den Präsidentschaftskandidaten samt demokratischem Drumherum ins Zeug gelegt haben, auch patriotischerweise zupacken. Das alles findet sich in der Figur des „Mr. Bill“: Ein arbeitsloser Werbefachmann wird als Gelehrter in ein militärisches Ausbildungscamp zwangsverschickt, erklärt dort den Kadetten ein wenig Shakespeare und bleibt schließlich als Erzieher bei der Armee. So einfach funktioniert die mitunter sehr sentimentale Education: Gibst du mir Wasser, rühr' ich den Kalk, wir bauen einen neuen Staat.

Ein Helikopter kreist über den Bank-Towern von Detroit, Michigan, im Flug zieht noch einmal der Reichtum der Ära Reagan vorbei, und dann sitzt man drin im Schlamassel: Der Werbetexter Bill Rago – zynisch, zwergenhaft, magenkrank und kein bißchen gutherzig, also Danny DeVito – bleibt mit dem Auto im Stau stecken. Ein Millionendeal mit kalifornischen Geheimratszöpfen platzt. Bill verliert den Job. Kapital als Virus, das übliche, möchte man meinen. Sein Anzug setzt Flecken an. Jetzt müßte die Wende kommen, noch kann er einen Broker auf Buddhas Spuren kennenlernen. Alles würde dann ganz und wieder gut. Oder vielleicht ein Gerichtsdrama, weil der Mensch ja gemeinhin gegen unrechtmäßige Entlassung klagen darf. Doch dies ist nicht Philadelphia, sondern die viel schlimmere Krise der gesamten Industriegesellschaft, und Bill landet auf dem Weg nach unten als Bittsteller auf dem Arbeitsamt. Allein, hoffnungslos soll auch der Niedergang nicht enden. Regisseurin Penny Marshall, die sich zuvor in „Eine Klasse für sich“ mit den Nöten einer postfeministischen Baseball- Mannschaft plus Madonna auseinanderzusetzen hatte, weiß eine simple Lösung für die Leiden des kleinen Bill. „Schwierige Zeiten verlangen ungewöhnliche Maßnahmen“, notiert sie in den Produktionsnotizen. Bill erhält die Chance, in einem Camp der US- Army ein „Project“ zu stützen, bei dem bildungsmäßig zurückgebliebene Rekruten motiviert werden sollen, die sich untereinander nicht ausstehen können.

Das Problem wird von der mißglückten Werbung auf die Erziehung verlagert: Bill muß dem Deppen vom Land (Mark Wahlberg alias Marky Mark) Respekt für seine schwarzen Kameraden beibringen, die Ghettoknaben in ihrem Bildungsfrust mit shakespeareianischen Sonetten versöhnen und dem Sohn eines Vietnamkämpfers den Glauben an seinen gefallenen Vater zurückgeben. Sie lesen gemeinsam Hamlet, und lernen wie weiland Schwarzenegger in „Last Action Hero“, daß Kultur jedem zufällt, der mitmachen will bei „TV without the box“. Erstaunlicherweise ergehen sich die Berufssoldaten prompt in lupenreinem Method-Acting und beherrschen altertümliche Gesten oder Reimschemen wie HipHop und Electro-Boogie. Hamlet goes machine-gun poetry: Daß der gelehrigste Schüler mit Crack gedealt hat und deshalb in der Armee untergetaucht ist, ändert für Bill nichts an der Tatsache, daß Gutes lesen schützt.

Irgendwann ändert sich allerdings das Leitmotiv des Fortbildungskurses: Die Kadetten gehen von anfänglicher Seinsromantik zum „War of the Roses“ über, lassen sich von Shakespeares Schlachtenkönig Henry begeistern, und identifizieren das Drama allmählich mit ihren Aufgaben bei der Armee. Während einer nächtlichen Wehrsportübung kann der einfache Soldat, ein Lookalike des jungen Robert DeNiro, strophenweise Erbauliches aus „Richard III.“ aufsagen und damit das Herz des drill instructors gewinnen, während der kugelige DeVito bei einem gewagten Abseilakt am Victory Tower baumelt.

Warum der Pazifist und Werbefachmann Bill sich letztlich von den Segnungen der Armee überzeugen läßt und als humanistisch gebildetes Flintenmännchen anheuert, versucht der Film nicht näher zu erläutern. Irgendwann hat er sich ganz einfach an den nächtlichen Zapfenstreich gewöhnt und kennt alle Dienstgrade auswendig. Ein bißchen klingt nur Ernest Hemingways Satz „Man can be destroyed but not defeated“ durch, und das muß im Krieg wie für das richtige Leben genügen. An der abschließenden Truppenparade nimmt der gewendete Workaholic gemeinsam mit seiner Tochter teil, die sich eigentlich auf New Age und Sternegucken versteht. Im Ernstfall gehen Flower-Power und schneidige Uniformen zusammen, oder Heartbreak Hotel und Cuba- Kleid. Harald Fricke

Mr. Bill, Regie: Penny Marshall. Mit Danny DeVito u.a., USA 1994